Die Arbeit an Diaspora geht voran: Freier Facebook-Ersatz vielleicht noch im Herbst

Dies Frühjahr war das bisher erfolgreichste für Facebook, und ganz und gar kein gutes: Durch fahrlässigen bis gierigen Umgang mit Nutzerdaten hat Facebook es geschafft, Google vom gefühlten Platz 1 der Datenkraken und Bad Guys zu verdrängen. Ein freier Ersatz muss her, bei der keine zentrale Instanz die Daten hortet. Das Projekt “Diaspora” war geboren. Ein paar Wochen nach dem Start gibt es die ersten Resultate.

Die Aufmerksamkeit für das Projekt und die dahinter stehenden Studenten Daniel Grippi, Maxwell Salzberg, Raphael Sofaer und Ilya Zhitomirskiy war enorm. Schließlich wäre die Story ein Klassiker: David gegen Goliath. Diaspora will ähnlich wie Facebook funktionieren, aber ohne zentrale Datenhalde auskommen, die abgefischt werden könnte. Das funktioniert, wenn alle Teilnehmer ihre Daten auf ihrem eigenen Rechner behalten und im Peer-to-Peer verfahren austauschen wie bei Tauschbörsen.

Wenn man dann noch idealerweise möglichst fein einstellen kann, wer im Freundeskreis welche Daten zu Gesicht bekommen soll, wäre tatsächlich ein “privates” soziales Netzwerk möglich. Die jungen Entwickler wurden von den Pivotallabs eingeladen, die auch für den webOS-Twitter-Client “Tweed” bekannt sind, und hacken jetzt seit 3 Wochen an ihrer besseren Facebook-Alternative. Was bisher heraus kam: Ein funktionierendes Basissystem, das Statusmeldungen verteilen kann, aber für User-Fotos noch Dummys verwendet, ein Demo-Video mit ein paar Screenshots, ein grober Zeitplan mit erster Freigabe im September und das Gefühl, dass hier “the next big thing” entstehen könnte.

Diaspora Message Propagation (pre-alpha!) from daniel grippi on Vimeo.

Im März schrieb ich, dass wir nach dem Social Web ein “Private Web” brauchen. Ich kam zu dem Schluss, dass Seiten wie Facebook per Definition eine Form von Öffentlichkeit sind, die Privatsphäre ausschließt: Sozial ist eben nicht privat. Schulkamerad, Freund, Bekannter, Komilitone, Ex-Frau, Kollege, Chef, Parteifreund, ehemaliger Kunde und Steuerberater sind äußerst verschiedene Gesprächspartner, mit denen ich sehr unterschiedlich verkehre. Facebook schert sie alle über einen Kamm und ist zudem  noch selbst “mitlesende” Partei, in dem sie mein Zeugs für ihre Datenverwertungsmaschinerie analysieren. Deshalb behandele ich Facebook wie die Öffentlichkeit, was aber zur Klage von Freunden führte, dass der private Enno auf Facebook kaum noch sichtbar sei. Ich hoffe, ich kann diese Freunde möglichst bald auf Diaspora einladen und eine Art “geschlossene Gesellschaft” gründen.

5 Gedanken zu „Die Arbeit an Diaspora geht voran: Freier Facebook-Ersatz vielleicht noch im Herbst“

  1. Alles schön und gut. Aber wenn es nicht gelingt, eine große Masse an Nutzern zum Umstieg zu bewegen, wird es genau so eine Totgeburt wie identi.ca werden.

  2. … wie hieß doch gleich nochmal dieses freie Twitter-Ding? Ach ja: identi.ca — redet davon noch jemand?
    ;-)

    Und: Inwiefern sind meine Daten “privater”, wenn ich sie per Peer-to-Peer versende? Dann hab ich mein Zeugs doch lieber bei Facebook … die stehen im Licht der Öffentlichkeit und wenn dann was schief geht, besteht zumindest geringfügig die Chance, juristisch jemanden fassen zu können. Gebe ich meine Daten per P2P in die “Wolke” sind sie außerhalb jeglicher Kontrolle …

  3. @bosch Tja, leider. Aber man darf sowas nicht von vornherein als hoffnungslos ansehen. Selbst wenn Diaspora nur bewirkt, dass Facebook gezwungen ist, umzusteuern, wäre das doch viel wert.

    @coke Ich glaube, Du hast Diaspora nicht verstanden: Peer2Peer ist etwas ganz anderes als eine Cloud. Deine Daten liegen in keiner Cloud sondern nur auf deinem Rechner und nach Freigabe denjenigen deiner Freunde. Mit Facebook liegen sie bei dir, bei deinen Freunden *und* bei Facebook.

    Ach so und identi.ca – was war nochmal der Grund, es überhaupt einzusetzen, außer irgendwelchen ideellen Open-Source-Überlegungen heraus? Welchen Leidensdruck baut Twitter bei seinen Usern auf, dass diese gerne eine bessere Alternative hätten?

  4. @Enno Park: hm … mal sehen … habe ich P2P nicht verstanden? Wenn es so ist, wie Du sagst, dass meine Daten nur bei mir und bei freigegebenen Freunden liegen … wie kann so ein P2P-Service dann Services wie “Freunde von Freunden” anbieten?

    Also entweder habe ich tatsächlich einen Denkfehler, oder “Diaspora” wird nur einen winzigen Bruchteil dessen bieten könne, was Facebook heute ausmacht. Ob das dann ausreichend attraktiv ist, wage ich doch sehr zu bezweifeln …

  5. @coke, ich sehe da überhaupt kein Problem. Wenn deine Freunde ihre Freundesliste, die auf ihrem Rechner liegt, öffentlich oder für dich sichtbar macht, wird der Client sie für dich herunterladen und die Funktion selber erfüllen.

    Übrigens würde es auch cloudbasiert funktionieren. Der Client müsste intelligent bleiben, könnte seine Daten aber durchaus in einer Cloud ablegen. Und zwar bereits auf dem Client verschlüsselt, so dass jeder, der direkt auf die Rechner der Cloud Zugriff hat, nichts mit dem Datenhaufen anfangen kann.

    Die Herausforderung steckt tatsächlich im Moment wohl darin, Facebook ausschließlich auf Peer-2-Peer-Basis ähnlich anwendbar und komfortabel nachzubauen.

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