Zielgruppe: Ein Haufen ausgemachter Idioten
01. April 2010 - Mathias Röckel
Glaubt mir bestimmt wieder niemand, aber ich saß neulich wirklich in einer Besprechung, in der folgender Spruch fiel: „Wir müssen uns stärker zu richtig gutem Deutsch comitten. Sprache ist ein Key Asset bei dieser Challenge.“
Der hat das ernst gemeint.
Und was hat er damit in unserem Besprechungsraum ausgelöst? Nichts. Von den versammelten Teilnehmern hat nicht einer gelacht. Der, der das gesagt hat, fuhr ungerührt fort. Und ich, der ich künftig dafür verantwortlich zeichnen sollte, dass bei dem hier gelaunchten Projekt stets die richtigen Worte gefunden würden, schrieb auf meinen Notizzettel:
Nicht immer so griesgrämig auf Anglizismen reagieren.
Meinetwegen: Anglizismen sind allein schon aus folkloristischen Gründen eine prima Bereicherung der hiesigen Sprachlandschaft! Anglizismen sind mittlerweile sogar wahre Leistungsträger! Ganze Schlüsselindustrien hängen von ihrem einwandfreien Funktionieren ab! Allen voran der IT-Sektor!
Drei Tage später hatte ich das erste File unseres neuen, hippen Web 2.0-Dings auf dem Screen. Ein Strategy Paper, welches unsere Target Group definierte. Diese bestand aus den Early Adapters.
Ich wollte einen guten Job als Key Asset Manager für den Unternehmensbereich Sprache machen und sann über eine passende Übersetzung für meine Early Adapters nach. Early Adapters, das wusste ich, sind die Typen, die immer alles als Erste haben müssen. Die Sorte Mensch, die eine Campingausrüstung aus genau einem Grund besitzt, nämlich um damit den Apple Store in New York zu belagern. Schräge Vögel.
Frühe Vögel? Nein.
Frühaufsteher, Frühbucher, Frühübernehmer?
Ich sah bei Leo nach, die wissen so etwas eigentlich immer. Aber auch dort keine brauchbare Lösung. Komisch. Aber schließlich gibt es Google – und dort fand sich als erster Treffer der Wikipedia-Eintrag. Der besteht aus der beinahe schon launischen Definition, das sei englisch für „frühzeitiger Anwender“ und bezeichne „einen Menschen, der die neuesten technischen Errungenschaften oder die neuesten Varianten von Produkten erwirbt, obwohl diese teuer und oftmals unausgereift sind.“
Damit hatte ich nun gleich drei Probleme. Erstens hatten wir uns, wenn ich Wikipedia richtig verstand, als Zielgruppe ausgerechnet einen Haufen ausgemachter Idioten ausgesucht. Zweitens war „frühzeitiger Anwender“ nun wirklich kein Ausdruck, den ich als Deutschbeauftragter guten Gewissens in die Welt tragen konnte. Und drittens stand in dem Wikipedia-Eintrag nicht Early Adapters, sondern Early Adopters.
O.
Ein Tippfehler… Ein – obwohl er ziemlich doof ist, wenn man sich einmal zehn Sekunden besinnt und sich an den Unterschied zwischen adoptieren und adaptieren erinnert – offenbar ziemlich weit verbreiteter Tippfehler: Die Google-Battle jedenfalls verlieren die Adapters gegen die Adopters nur knapp mit 662 000 zu 850 000 Treffern.
Aber: ein Tippfehler. Und so tat ich, was jeder gewissenhafte Korrektor an meiner Stelle getan hätte. Ich tauschte das a gegen ein o aus – und freute mich über das großartige Commitment, mit dem ich diese Challenge gemeistert und meinen Beitrag für ein richtig gutes Deutsch erbracht hatte.
Kopf -> Wand… ich hasse dieses Business gequatsche…
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In was für Kreisen du dich rumtreibst… ;)
Ich bin nach deinem Artikel durch Zufall auf den Anglizismenindex des “Verein Deutsche Sprache” gestoßen. Die übersetzen “Early Adopter” (also nicht Adapter) ganz treffend mit “Frühanwender” oder “Erstnutzer”.
http://www.vds-ev.de/anglizismenindex/suche2.php?str=e&la=on
Ich staune oft, wie man selbst auf so naheliegende Übersetzungen nicht kommt…
Anglizismen sind out.
was für ein knaller Artikel! Geile Story, traumhaft erzählt!
für die nächste Besprechung kann ich das hier empfehlen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Buzzword-Bingo
;)
Was für eine schöne Story! Als unter IT-lern und BWLlern weilender Germanist, finde ich mich sofort wieder und bin erleichtert, dass es nicht mir alleine so geht. Und das hier find ich besonders charakteristisch:
“Und was hat er damit in unserem Besprechungsraum ausgelöst? Nichts. Von den versammelten Teilnehmern hat nicht einer gelacht.”
Ach, wie treffend!
Und wissen Sie, was noch viel schlimmer als Anglizismen ist? Das sind Fremdwörter, von denen man nicht so recht weiß, was die bedeuten und trotzdem versucht, die in jedem Satz zu bringen, um mehr Unverständlichkeit, äh, Wichtigkeit dem Gesagten zu verleiehen :-)
… was war gleich nochmal der Einwand gegen die Übersetzung “Schräge Vögel”? Passt doch bestens! ;-)
Sehr schöner Artikel.
Will man die “Early Adopters” mit einem anderen – aber besser eingedeutschtem – Wort umschreiben, würde ich “Trend-Setter” verwenden. Und als deutsches Wort “Richtungsweiser”, “Vorreiter” oder “Pionier”.
Diese Symptome finden sich aber auch in anderen Bereichen.
Was mich immer nervt ist, wenn Computerviren als “Trojaner” bezeichnet werden. Eigentlich ist ja das “Trojanisches Pferd” gemeint, das aber ja die Griechen den Trojanern untergejubelt haben. Durch die “Verkürzung” werden so die Opfer zu den Tätern gemacht :-D
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