Das Wikileaks-Dilemma

Breite Medienresonanz bekam Wikileaks, als die Whistleblower-Seite ein Video aus dem Irak-Krieg veröffentliche, das die Tötung von Zivilisten und Journalisten zeigt und welches offenbar zuvor von den klassischen Medien zurückgehalten worden war. Ein weiterer Sieg des Internet über gesellschaftliche Missstände? Leider nicht, denn Wikileaks steck in einem Dilemma, das auf der re:publica viel diskutiert wurde.

Whistleblower sind wichtig. Es sind Menschen und Gruppen, die auf unliebsame Probleme aufmerksam machen, Tabus aufbrechen und dringend nötige Debatten anstoßen. Dazu müssen sie sich oft gegen ihre Chefs oder Autoritäten stellen. Sie riskieren ihren Job und manchmal das Leben. Gleichzeitig sind sie oft kontroverse Figuren, die im Grunde nicht anders als „Verräter“ agieren und meistens auch so behandelt werden. Der besondere gesetzliche Schutz, unter dem sie in den USA stehen, ist international (einschließlich Deuschlands) die Ausnahme. Nicht nur darin liegt die Existenzberechtigung für Wikileaks. Hier kann jeder anonym brisantes Material einreichen, welches nach eingehender Prüfung veröffentlicht wird und vor allem auch Aufmerksamkeit erlangt.

Eine richtige Organisation gibt es bisher nicht, nur einen international agierenden harten Kern mit einer großen Zahl von Spezialisten, die zu bestimmten Themen herangezogen werden. Die Gruppe arbeitet konspirativ, deren Köpfe, wie Daniel Schmitt, kennen zum Beispiel die Server-Standorte nicht und könnten sie auch nicht unter Folter verraten. Zu weit hergeholt? In Afrika wurden Wikileaks-Mitarbeiter Opfer von Anschlägen, die CIA ermittelt geheimdienstlich gegen das Portal, welches als „Gefährdung“ eingestuft wird, und auch in Deutschland gab es wegen Wikileaks schon Hausdurchsuchungen. Ein anderes Problem ist, dass irgend eine Veröffentlichung auf Wikileaks.org in fast jedem Land der Welt gegen irgend welche Gesetze verstößt, so dass das reine Verlinken auch in Deutschland schon genügen kann, um Besuch von der Polizei zu bekommen.

Feiern wir also einfach Wikileaks als neue Helden des Internet-Zeitalters? So einfach ist es leider nicht. Wikileaks füllt ein Vakuum, das andere hinterlassen haben. Die Existenz dieser Webseite ist Ausdruck journalistischen und politischen Versagens. Natürlich besteht ein öffentliches Interesse an den Toll-Collect-Verträgen oder den Stasi-Akten von Spitzenpolitikern, hinter denen der private Datenschutz zurückzustehen hat.

Aber Wikileaks arbeitet im luftleeren Raum nach eigenen Regeln, wenn sie zum Beispiel die Mitgliederlisten rechtsextremer Parteien oder den privaten E-Mail-Verkehr von NPD-Mitgliedern veröffentlichen. Das ist meiner Meinung nach ein massiver Eingriff in die Privatsphäre – und zwar ohne Ansehen der Person, schließlich haben Grundrechte für alle Menschen zu gelten, selbst wenn sie eine gefährliche politische Einstellung haben. Ein paar fiktive Beispiele: Wie sähe es mit Kontobewegungen von Banken aus? Bewegungsprofilen öffentlicher Personen aus Mobilfunkdaten? Eine Liste aller Personen, die keine GEZ zahlen? Oder von Frauen, die illegal abgetrieben haben? Im Grunde ist Wikileaks das Gegenteil von Datenschutz.

Hier wird das Fehlen von Regeln mehr als deutlich – und das Fehlen einer Instanz, die abschließend beurteilt, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Die Politik hätte sich längst Gedanken darüber machen müssen, Whistleblower unter besonderen gesetzlichen Schutz zu stellen und neutrale öffentliche Whistleblower-Stellen einzurichten, die klaren Regeln unterworfen sind, wobei die Veröffentlichung zum Beispiel einem Gremium oder einem Richtervorbehalt unterliegen könnte. Ein wenig wäre das auch die Aufgabe des von uns allen bezahlten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, mit dessen Staatsferne es aber leider nicht weit her ist.

Wikileaks regiert auf die Probleme und will sich öffnen. Die internen Abläufe sollen transparenter gestaltet werden. Paradoxerweise müssten sie nämlich auch eine Liste all ihrer Mitglieder veröffentlichen, sollte diese eingereicht werden. Genau diesem Ideal wollen sie nahe kommen und für Strukturen sorgen, die das ermöglichen, ohne die Arbeit der Organisation zu gefährden. Mir ist nicht ganz klar, wie das funktionieren soll und alle Probleme sind damit nicht gelöst. Aber so oder so werden Wikileaks oder Nachfolger uns noch sehr lange Zeit begleiten.

6 Gedanken zu „Das Wikileaks-Dilemma“

  1. Alles muß veröffentlicht werden.Steuererklärungen,wie in den USA,Gehaltslisten,interne Vermerke der Versicherungen über Kunstfehler der Ärzte.versteckte Militärausgaben,Wortprotokolle aus dem Kanzleramt.

  2. Whistleblower-Netzwerk setzt sich dafür ein in Deutschland gesetzlichen Schutz und gesellschaftliche Anerkennung für Whistleblower zu bekommen. Dies ist ein langer und harter Weg und wir bräuchten Unterstützung.
    Leider sind wir für die Medien und die meisten Internet-Blogger aber nicht so hipp wie Wikileaks. Letztlich funktioniert Wikileaks für Informationen genau nach dem gleichen Prinzip wie Caiman Islands und andere für Geld. Dennoch ist Wikileaks derzeit wohl nötig und die durch sie angeregte Diskussion auch.

  3. Grundrechte sind konzeptionell Abwehrrechte gegen den Staat – von demher passt das strukturell nicht.

    Im Ergebnis stimme ich Dir aber zu, dass der Schutz vn legitimen(!) (Individual-)Interessen gewährleistet werden muss.

    Ich bin mir sicher, dass der ein oder andere irgendwann mal mit Daniel und Julian ein Bierchen trinken und diese Frage dann aufwerfen wird (und wenn ich es selber mache, wenn ich die beiden auf einem Fleck (oder jeweils alleine) erwische).

  4. Es ist schon sonderbar ruhig geworden um Wikileaks und Julian Assange. Könnte natürlich auch sein, dass da im Background einge Deals abgelaufen sind. Bares, Straffreiheit bei der Vergewaltigungsgeschichte, einen gewissen Status, wie ihn nur Länder verleihen können, wer weiss? Zumindest fällt auf, dass nach dem anfänglichen weltweiten Hype, der seinesgleichen suchte, mittlerweile gegen Null tendiert. Grüße aus Berlin

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