Lektüre für Nichtleser (Update)

Sie haben kaum Zeit, große Romane zu lesen – er hat keine Zeit, welche zu schreiben. Das sagt Michael Bukowski und zieht die Konsequenz. Er schreibt Geschichten für Nichtleser, klein, handlich und in mundgerechte Häppchen zerlegt für U-Bahnfahrten und Toilettenpausen. Zunächst auf Papier, später auch als iPhone-App, wobei er leider so seine Erfahrungen mit der „Zensur“ bei Apple machen musste. Trotz erster Medienaufmerksamkeit ist die “Lektüre für Nichtleser” derzeit noch eher ein Geheimtipp.

Die Büchlein sind zu allererst mal Berlin. Aber nicht das angestaubte Harald-Juhnke-Berlin oder das bröckelnde Plattenbau-Berlin sondern das Klischee-Berlin von heute: Den Werbern, Kreativen, Webworkern, Lebenskünstlern und Möchtegerns aller Couleur sieht Bukowski beim Flanieren und Abhängen zu. Wenn sein Alter Ego Grabowski, der länger an einem Tresen sitzen kann, als dieser lang ist; der Werbetexter Dong Long Copy, der noch längere Slogans schreibt; der Kneipenwirt Pistolen Pete mit seinen zwei Handys am Gürtel, mit denen er schneller telefonieren kann als sein Schatten; Charming Heinz, Fachwirt für schlechte Laune oder Eisi Verspeisi, deren/dessen Geschlecht niemand so genau kennt, was die andern Männer aber von nichts abhält – wenn diese Typen in der Kneipe hocken und Sachen ausbaldowern, ist das einfach nur lustig und klingt etwa so:

Anstatt einer Pointe kam dann aber Charming Heinz vorbei.
- He Grabowski, alter Bausparer, was geht?
- Mir ist langweilig. Immer dieselben Pappnasen hier im Kiez. Einfach nichts los.
- Dann fahr doch mal woanders hin.
- Na ja, in der Theorie sagt sich das so leicht, aber in der Praxis …müßte dann ja woanders hin fahren.
- Verstehe

Die Orte und Figuren beruhen zum großen Teil auf realen Personen, deren Namen Bukowski aber auch unter Gewaltandrohung nicht herausrückt. Nur beim Webworker-Café „Wirelässig“ ist sofort klar, dass es sich um das St. Oberholz handeln dürfte, in dessen Kleinverlag die bisher neun Büchlein erschienen sind. Aber eigentlich ist es ein Anachronismus, die Geschichten überhaupt noch auf Papier zu drucken, wo doch immer mehr Leute mit Smartphones herumlaufen, die ein lesefreundliches Display bieten.

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Da war es ein logischer Schritt, die Texte als iPhone-App anzubieten. Michael Bukowski ist also ein Pionier, wenn es darum geht, Literatur auf diese Weg zu vermarkten. Dabei zieht er alle Register: Er bloggt, twittert und ist immer mal auf Lesungen anzutreffen – und natürlich im kleinen Zirkel derjenigen, die die absolute Kürze auf Twitter zur Kunstform erhoben haben. Mit „Mikroliteratur“ ist ja schon eng verwandt, was Bukowski da schreibt.

Als Pionier hat er aber auch die gleichen Probleme erlebt wie andere, die versuchen iPhone-Apps zu vermarkten: Seine Texte wurden von Apple wegen anstößiger Inhalte wieder aus dem App Store geworfen. Dabei ging es um Wörter wie „Sex“, „Scheiße“ oder „Vagina“. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die „Lektüre für Nichtleser“ gehört bestimmt nicht in die unterste Nachttischschublade, vielmehr dürfte anhand dieser Kriterien weder ein Schimanski-Tatort noch „The Big Lebowski“ den Weg auf aufs iPhone (oder ein anderes Gerät mit „i“ vorne dran) finden.

Das ist umso befremdlicher, weil heute bei einen Blick in die App-Store-Abteilung „Bücher“ gleich an zweiter Stelle „Die Lustsklavin von Lucy Palmer“ beworben wird – wenn auch mittlerweile mit Alterskennzeichnung. Die Schwierigkeit konnte Michael Bukowski allerdings leicht umgehen: Er hat die betreffenden Wörter einfach ersetzt: „Scheiße“ wird zu „Gold“, „Vagina“ zu „Vag & Ina“ und Sex zu „Diese Sache, die Männer und Frauen gerne miteinander machen“. Bisher scheint Apple kein Problem mehr mit den Texten zu haben – eingeweihte Leser dafür ein paar Gags mehr.

Mehr Infos gibt es auf lektuere-fuer-nichtleser.de.

Update: Michael Bukowski verschenkt 100 iPhone-Apps an seine Nichtleser.

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