Wer in Deutschland blind, gehörlos oder schwer behindert ist, brauchte bisher keine Rundfunkgebühren an die GEZ zu zahlen. Vorausgesetzt, man stellt rechtzeitig den Antrag und vergisst es nicht, den alle paar Jahre zu wiederholen, weil sonst – Behinderung hin oder her – eine saftige Nachzahlung fällig wird. Nun soll die Befreiung ganz abgeschafft werden, so dass auch Blinde und Gehörlose zahlen sollen. Fragt sich, wofür.
Was soll ein Gehörloser schon mit dem Radioprogramm anfangen und ein Blinder mit dem Fernsehbild? Natürlich kennen wir die nette Gebärdensprachedolmetscherin in der Phoenix-Variante der Tagesschau und Videotext-Untertitel beim Tatort – das war’s dann auch schon. Wer blind oder gehörlos ist, kann mit diesem Medienangebot herzlich wenig anfangen und allenfalls aufs Web ausweichen, wo die Inhalte, die eher Beiwerk zum eigentlichen Programm sind, nach kurzer Zeit auch noch regelmäßig depubliziert werden - wenn sie überhaupt genutzt werden können, weil Webvideos selten untertitelt und die Webseiten im Ganzen häufig nicht barrierefrei gestaltet sind. Ein Witz, dass ausgerechnet Youtube zeigt, wie es besser geht.
Das muss sich natürlich ändern, und daher kamen GEZ und Ministerpräsidenten am 5. August auf die glorreiche Idee, dass Behinderte künftig mit 6 Euro im Monat zur Kasse gebeten werden. Wörtlich heißt es:
Finanziell leistungsfähige Menschen mit Behinderungen haben einen ermäßigten Beitrag in Höhe von einem Drittel des Rundfunkbeitrages zu entrichten, sofern sie nicht einen Befreiungsgrund geltend machen können. Damit kann die Finanzierung barrierefreier Angebote erleichtert werden.
Unter “finanziell leistungsfähig” ist hier natürlich alles oberhalb von “Hartz IV” zu verstehen. Bemerkenswert ist der letzte Satz. Sollte das Geld tatsächlich dafür verwendet werden, dass die Angebote der Sender auch von Behinderten vernünftig genutzt werden können? Sofort sind diverse Verbände und Vereine darauf angesprungen. Motto: “Wir zahlen gerne, aber…”. Die Forderungen:
- 100% Untertitel im öffentlich-rechtlichen Programm von 6 Uhr morgens bis 23h abends
- 5 Prozent Gebärdensprachdolmetschereinblendung
- eine von Hintergrundgeräuschen befreite Tonqualität bei Fernseh- und Rundfunksendungen zur besseren Sprachverständlichkeit von schwerhörigen Menschen
- auch eine Verpflichtung der privaten Fernsehsender zur Durchführung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit
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Sind diese Forderungen utopisch? Ist es wirklich so, dass die Untertitelung zu aufwändig und zu teuer wäre? Werfen wir einen Blick in andere Länder, sehen wir ganz schnell, dass es Schutzbehauptungen sind. In den USA wird zum Beispiel so gut wie alles untertitelt, weil die Sender gesetzlich dazu verpflichtet sind. Dort hat sich eine Kneipenkultur entwickelt, bei der Fernseher oft ohne Ton aber mit zugeschalteten Untertiteln laufen, so dass die Sendungen keine Gespräche übertönen und trotzdem verfolgt werden können. Zielgruppe dafür sind gar nicht mal nur Schwerhörige, sondern auch Einwanderer und Hispanics, denen es auf diese Weise leichter fällt, Englisch zu verstehen oder zu erlernen. Ein anderes Beispiel: Das ZDF behauptet weiterhin, dass eine Live-Untertitelung von Shows wie “Wetten, dass…?” nicht möglich wäre – während es das Schweizer Fernsehen seit Jahren schafft, jede einzelne Show mit Live-Videotext-Untertiteln zu senden.
Der deutsche Gehörlosenbund hat jetzt mal eine internationale Umfrage gestartet, um zu schauen, wie es in anderen Ländern aussieht. Seit längerem läuft eine Petition, die eine Festschreibung von 100% Untertitelung im Rundfunkstaatsvertrag fordert. Bisher waren alle Menschen mit einem Grad der Behinderung von 80 befreit, den Gehörlose und Blinde normalerweise auch erhalten. Laut statistischem Bundesamt sind das fast drei Millionen Menschen. Da etwa 20% der Deutschen alleine leben (also kein anderer GEZ-Zahler im Haushalt ist) wären also grob gerechnet etwa 600.000 Menschen von der Neuregelung betroffen, die jährlich 43 Millionen Euro in die Kassen der GEZ spülen würden. Bei einem Gesamtetat von 7,3 Millarden Euro mutet die Neuregelung schon ein wenig wie eine Beschäftigungstherapie für GEZ-Mitarbeiter an, die demnächst durch die neue Pauschale weniger zu tun haben werden.
Ich selbst bin blind und arbeite für den Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg. Zwei Ergänzungen zu Deinem Artikel:
Für uns gibt es sog. Hörfilme, hier wird in die Dialogpausen eine Beschreibung von Gestik, Mimik und rein visuellen Inhalten eingesprochen. Diese gibt es in Deutschland beinahe ausschließlich für Filme und Serien, nicht für Dokus (Ausnahme: 37°), Nachrichten, Magazine und Shows. Und auch im Fiktionbereich sind Hörfilme immer noch die absolute Ausnahme, wie man hier sehen kann: http://text.epgdata.de/tv-programm/hoerfilm.php
Was mich vor allem an dem Vorstoß der Ministerpräsidenten stört, ist die Formulierung “Damit kann die Finanzierung barrierefreier Angebote erleichtert werden”. Wenn die Zuzahlung von blinden und anderen behinderten Menschen gefordert wird, dann müsste hier zumindest Muss statt Kann stehen.
Deiner Anmerkung bzgl. der Internet-Angebote möchte ich ein bisschen widersprechen: Es sind gerade die öffentlich-rechtlichen Websites, die vergleichsweise barrierefrei sind. Auch stoße ich – in meinem Fall beim NDR – durchaus auf offene Ohren, was das Thema angeht. YouTube hingegen ist in Sachen Accessibility ganz weit hinten.
Ah toll, Behinderte sollen also im Grunde finanzieren, dass sie an der Gesellschaft teilnehmen können? Sowas asoziales kann sich nur die Kartoffelkäferkoalition ausdenken. Ein Gedankenanstoß fand ich hier: “In Deutschland ist für alle Internetangebote öffentlich zugänglicher Einrichtungen des Bundes und der Verwaltungen des Bundes seit dem 31.12.2005 Barrierefreiheit Pflicht. Die gesetzliche Grundlage bildet das Behindertengleichstellungsgesetzes. Ergänzt wird das Gesetz durch die Barrierefreie Informationstechnik Verordnung (BITV). In einer Anlage werden alle Anforderungen aufgelistet, die ein barrierefreies Webangebot erfüllen muss. Weitere Informationen dazu bietet die Website des Bundesministerium der Justiz – http://bundesrecht.juris.de/bitv/index.html “, Quelle: http://www.ddnetservice.de/themen/providing/barrierefreie-internetauftritte/richtlinien-und-gesetzliche-bestimmungen.html
@Heiko Ich glaube, da ist der Streit Youtube gegen ÖR wie der Klassiker: hohe oder niedrige Bordsteinkante (für Blinde oder Rollstuhlfahrer). Klar, für dich als Sehbehinderten ist Youtube nichts, während du bei den ÖR viele Scripte in Textform findest. Dafür findet man nirgendwo so viele Untertitel wie bei Youtube – abgesehen vom DVD-Kauf. Sag mal: Gibt es im TV überhaupt Hörfilme? Ich kenne das nur auf DVD.
Wenn Regierung wirklich planen, wenn die Blinden und Gehörlosen zahlen sollen, dann wie sollen sie wirklich barrierefrei wahrnehmen. In meinem Augen ist das sehr verfassungswidrig und auch gleichzeitig menschensunwürdig.
Das nenne ich ReGIERung!!!!!
In Deutschland wird alles von Kopf bis Fuß schön und gemauschelt geredet und in der Wirtschaft ist alles top. Für Barrierefreies Medienlandschaft ist diese jetzigen Deutschland gegenüber USA und Großbritannien meilenweit entfernt. WDR Intendantin Monika Piel bekommt süsse Jahreseinkommen von über 300.000 €, ZDF hat über 30 Millionen ausgegeben, fürUmbau auf modernsten Stand. Von Barrierefrei ist daran nicht zu denken. Schweizer Fernsehen hat geschafft bei Events wie “Wetten dass…?” Live Untertitel am Samstag zu ausstrahlen, während die ZDF schön schreibt, das dies nicht möglich wäre. Die Wiederholung am Sonntag vormittag ist das mit Untertitel versehen, da die Hörgeschädigten Zuschauer mit Appetit vergangen, weil dies ein Event ist, das gehört live dazu.
@Enno Ja, es gibt Hörfilme im TV. Hier nochmal der Link zu einer Übersicht: http://text.epgdata.de/tv-programm/hoerfilm.php
Bei YouTube ging es mir erstmal gar nicht darum, dass es keine Textskripte zu den Clips gibt, sondern um die Bedienbarkeit der Seite selbst (Stichwort: Strukturierte Seite, beschriftung von Buttons usw.).