Jeff Jarvis und die Private Parts

Mit “private parts” bezeichnet man im Englischen Körperteile, die man üblicherweise nicht her zeigt. In seinem Vortrag “Privacy, Publicness and Penises” auf der heute gestarteten re:publica mokiert sich der Journalist Jeff Jarvis provokant: “Germans care deeply about the privacy of everything but their private parts.”

Der US-amerikanische Autor („Was würde Google tun“) findet es interessant, dass wir uns über Körperscanner oder den Datenschatten von Google Analytics aufregen, während wir gleichzeitig unsere intimsten Körperteile bereitwillig in der Sauna vorzeigen. Und er bringt das Beispiel einer Amerikanerin, die von den Gepflogenheiten in einer Schweizer Sauna schockiert ist und wiederum selbst ins Handtuch gewickelt gegen die Etikette verstößt.

Sauna hin, Datenbanken her: Sind das alles nur kulturelle Unterschiede? Jeff Jarvis will auf etwas anderes hinaus. Die Sauna mag ein öffentlicher Ort sein, aber was wir dort von uns zeigen, ist flüchtig und geheimhin gehen wir vielleicht nackt in die Sauna, aber nicht auf die Straße. Unser körperliches Erscheinungsbild sagt relativ wenig über uns aus, während das Hauptproblem unseres Datenschattens ist, dass wir die Kontrolle darüber verlieren, wann und wo diese Daten einmal zusammengesetzt werden und was daraus interpretiert werden könnte.

Er fragt aber, was eigentlich gefährlich daran sein soll, wenn private Daten öffentlich werden. Beispiele sind die Angst vor Identitätsdiebstahl oder davor, was die Leute von mir denken, wenn bestimmte Details über mich öffentlich werden. Das wird aber als kulturelles Problem heruntergespielt auf die Formel: Saufbilder auf Facebook werden keine Rolle mehr spielen, weil unsere Chefs einmal auch Saufbilder auf Facebook haben werden. Kann man es sich wirklich so einfach machen? Ich bin etwas verwundert, da gerade in den USA mit ihrer oft übertriebenen Kultur der „Political Correctness“ Ausrutscher welcher Art auch immer sozial fatal sein können.

Ganz ausgeklammert bleibt die Frage, was Staat und Konzerne mal in unseren Daten sehen werden und welchen Repressalien wir deswegen ausgesetzt sein könnten. Hier redet ein US-Amerikaner mit hoher individueller Freiheit und traditioneller Trennung zwischen Staat und Privatleben, der die Erfahrung, dass die letzte Diktatur in Deutschland erst vor 20 Jahren endete, nicht persönlich teilt.

Er nennt die Erkrankung seiner Prostata, mit der er sehr offensiv umgegangen ist, als Positivbeispiel dafür, wie viel Feedback er von Leidensgenossen bekam, welcher wertvolle soziale Wissenspool auf diesem Wege des Austausches entsteht. Einst könnte als asozial angesehen werden, seine Daten nicht mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Aber auch Jeff Jarvis denkt nicht darüber nach, die Privatsphäre abzuschaffen, sondern fragt, wo die Linie zwischen Privatleben und Öffentlichkeit einmal verlaufen wird. Genau dazu hätte ich mir mehr Anregungen oder Gedanken von ihm gewünscht. Schließlich ist die Neudefinition der Privatsphäre im Internet das eigentliche Thema beim Datenschutz. Wollen wir wirklich Google und Facebook diese Definitionsmacht geben und die Kontrolle abgeben? Haben wir überhaupt eine Wahl, wenn wir als Netzbürger noch soziale Wesen sein wollen?

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