07. Oktober 2009 - Jürgen Vielmeier

Die gute Nachricht: Google Wave funktioniert. Die Anwendung kann auch mit einem guten Dutzend Gesprächsteilnehmer problemlos umgehen. Die Übersichtlichkeit ist dafür noch gewöhnungsbedürftig und ein Ersatz für die E-Mail wird Wave wohl niemals werden. Aber ein erster Livetest zeigt: die Welle hat Potenzial.
Nach meinem Aufruf bei Twitter meldeten sich zahlreiche Mit-Tester, die Wave gerne mit mir ausprobieren wollten. Wahrscheinlich ein Anfängerfehler, sie alle gleichzeitig einzuladen. Denn als Live-Chat ist Wave denkbar ungeeignet: Neue Nachrichten erscheinen kreuz und quer, mal oben, mal unten: Wave ordnet nicht chronologisch, sondern thematisch. Eine Möglichkeit, das umzustellen, gibt es nicht. Mit so vielen Gesprächen in kurzer Zeit steigen das Gefühl der Enge und der Wunsch, die Wave auf schnellstem Wege zu verlassen…
Zum Glück hält dieses Gefühl nicht an, sobald man eine Wave in Richtung Übersicht verlassen hat. Dafür überzeugen Archiv und Playback-Funktion in den Gesprächen. Jeder Teilnehmer einer Wave kann Tags hinzufügen, Dateien hochladen oder Gadgets wie Umfrage-Tools hinzufügen.
Interessant ist der Ansatz, den von Outlook und Thunderbird bekannten Posteingang mit einer Wave-Übersicht zu ersetzen: Statt einzelne Mails untereinander anzuordnen, ordnet Wave sie nach Gesprächen. Auch die selbst verfassten Nachrichten tauchen darin auf. Wave unterscheidet also nicht mehr zwischen Posteingang und -Ausgang:
Dieses Prozedere erinnert in erster Linie an die Thread-Darstellung von Google Mail, geht aber deutlich weiter. Links in der Wave-Übersicht werden die Gespräche (Waves) übersichtlich angeordnet. Im rechten Fenster folgt man dem Gesprächsverlauf der Waves:
Nur für größere Bildschirme optimal
Wave ist noch in der Preview-Version – man könnte auch Beta sagen – und noch lange nicht perfekt. Zum einen reagiert die Software auf Eingaben aus dem Firefox-Browser sehr behäbig. Zum anderen ist die Übersicht bisher der Knackpunkt. Man weiß nie so richtig, in welcher Darstellung man sich eigentlich gerade befindet: Aktuell, Inbox, Ungelesen oder doch schon Archiv?
Die Übersicht zeigt zwar an, wenn es neue Nachrichten in einer Wave gibt, stellt die Waves dann aber nicht automatisch wieder nach oben. Wenn also in einer älteren Wave etwas Neues passiert, muss man das zwangsweise übersehen – es sei denn man scrollt laufend nach unten. Selbst ein Klick auf den “Ungelesen”-Button ändert die Sortierung der Mails nicht.
Schwierigkeiten macht Wave auch mit der Darstellung breiterer Formate wie Videos. Das geht an zu kleinen Bildschirmen (17 Zoll und darunter) grandios schief:
Kein E-Mail-Ersatz, nur noch mehr Rauschen
Aber die alles entscheidende Frage sollte ja sein: Kann Google Wave die E-Mail ersetzen? Die Antwort: Höchstens bedingt. Wave scheint ein fantastisches Tool zu sein, mit dem Menschen auf Entfernung zusammen arbeiten können (Collaboration). Was aber, wenn man zum Beispiel eine Mail an den Apple-Kundendienst schicken möchte? Dann müsste dieser ebenfalls bei Wave sein. Hat er das nicht oder will er das nicht haben, hilft nur eine handelsübliche E-Mail weiter, die man mit Wave – so weit ich das überblicken kann – bislang nicht verschicken kann. Hinzufügen kann man nur Kontakte, die ebenfalls einen Google-Wave-Account besitzen.
Ein Ersatz für E-Mail und Instant-Messenging ist Wave mangels fehlender Einbindung nicht. Und das ist fatal, bedeutet es doch: Wave wird kein Dienst, um sie alle zu einen, also weder Ersatz noch übergeordnete Instanz für E-Mail, IM, Twitter, Facebook und Skype. Sondern noch ein weiterer rauschender Kanal, für den man einen Zeitslot öffnen muss. Und das ist das, was mich an Wave am meisten enttäuscht.
Trotzdem: Als Collaboration-Tool gefällt mir Google Wave sehr. Hat man erst einmal Kontakte hinzugefügt und eine halbe Stunde damit herumgespielt, offenbart die neue Google-Software ihre Stärken. Ich halte Wave für einen ähnlichen Durchbruch wie Google Mail vor gut fünf Jahren. Wir werden sicher noch viel davon hören und bald sehr zahlreich damit arbeiten.
Großer Dank an die zahlreichen Mittester und vor allem an Moritz Haarmann, dessen Invite diesen Test erst möglich gemacht hat!
[...] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Websuche erwähnt. Websuche sagte: [news] Google Wave im Live-Test: Zwischen perfekter Welle und Tsunami – Yucca Tree Post+ (Blog) http://bit.ly/eWqwJ [...]
Ich bin auf die WebPage-Integrationen gespannt.
Top! Danke für die Bewertung. Kannst du jetzt noch bitte, bitte, das missverständliche Wort “handeln” ersetzen? Zum Beispiel durch “bewältigen”, oder so? DANKE! ;o)
@AndreasK: Na gut, weil du’s bist. :))
Also wir beim TouchTalk Podcast werden morgen erstmals Wave einsetzen für unsere Shownotes und die gesamte Kollaboration! Unsere ersten Tests verliefern perfekt, klar, ab und an hakts noch, aber das Konzept ist genial.
Wobei ich dir natürlich recht gebe, würde mein gesamtes Adressbuch schon Wave benutzen und der Gesamte eMail Verkehr im aktuellen Wave-Interface abgehandelt werden müssen, wäre keinerlei Übersicht (momentan) mehr zu waren.
“Ein Ersatz für E-Mail und Instant-Messenging ist Wave mangels fehlender Einbindung nicht. Und das ist fatal, …“
Wow, das finde ich aber auch. Ich hatte das so verstanden, oder wenigstens eine enge Integration von Wave und Gmail erwartet.
Na ja, mal abwarten. Vielleicht macht’s ja später die Masse.
Na, ja, momentan kann man noch gar nix sagen, das ist Alpha-Stadium. AFAIK ist nicht absehbar wann Wave ins Beta Stadium gelangt und wie weit es dann “geöffnet” wird. Momentan benutzen es ja nur ca. eine Million User, was ja gar nichts darstellt, wenn man’s mit GMail vergleicht!
Ich würde zu 99% darauf wetten, daß Wave mit GMail integriert wird, also unter GMail mitgliedern zum Messaging-Werkzeug werden wird.
@Jürgen Vielmeier: huch, jetzt wird mir ja richtig warm ums Herz.
Wie, noch niemand der nach einer Einladung fragt? ;-)
Würde es ja tun, bringt ja aber doch nix…
Interessante Einschätzung von dir, sehe es auch so, dass es am Anfang sich zunächst als Tool für Zusammenarbeit empfiehlt und dann mit Integration von google mail etc. vllt. doch in Richtung “Emailersatz” strebt.