Googles ehemaliges Geschäftsmodell

Oft ist es ja so, dass man erst versteht, was etwas wert war, wenn es weg ist. Mir geht das so mit Google. Klar, man hielt immer in eine gewisse kritischen Distanz zu diesem Riesen. Seine Macht und seine Reichweite und vor allem auch seine Unersetzlichkeit machten es einem schwer, das Unternehmen nicht unheimlich zu finden.

Aber da gab es auch immer diese andere Komponente. Googles Erfolg kam nicht von ungefähr, er hatte gute Gründe. Google war das Unternehmen, das wie kein anderes das Web verstanden hatte. Auch wenn wir nicht mal wirklich verstanden, was genau sie verstanden hatten.

Doch die Zeiten sind vorbei. Und weil sie vorbei sind, geben sie den Blick frei auf das, was fehlt. Die Lücke, die klafft hat einen Umriss und eine Ausdehnung und erlaubt so, sie zu vermessen und zu beschreiben. Was ich hier tun möchte.

Was ist passiert? Seit Google G+ nicht nur eingeführt, sondern es als sein integralen, alles miteinander vernetzenden Dienst auserkoren hat, hat Google nicht nur eine ganze Menge Produkte und Dienste rausgeschmissen, sondern auch seinen zentralen Glaubenssatz. Der geht etwa folgendermaßen:

Das Internet ist unser Freund. Wenn das Internet sich weiterentwickelt – egal in welche Richtung, egal durch wen und wer daran verdient – es ist gut für uns.

Diese Haltung war es, die Google lange Zeit veranlasste, Dienste und Tools in die Runde zu werfen, die Dinge grandios erledigten und kostenfrei zu nutzen waren (und nein, es war nicht überall Werbung drauf). Und wenn man nach der Geschäftslogik dieser Freigiebigkeit fragte: siehe oben.

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Mit der Abschaltung vieler APIs bzw. der Kostenpflichtigmachung der Maps-API wird diese Politik zu Grabe getragen. Auch schon Google Plus weicht extrem von der einstigen offenen Grundhaltung ab. Keine (bis heute kaum eine) API, Contenteinschließung durch Circles, Realname-Policy, etc. Auch die Selbstverstümmelung des GoogleReaders zugunsten der bescheidenen Möglichkeiten auf Google Plus spricht dieselbe Sprache: Wir wollen nichts mehr weggeben. Wir wollen keinen anarchistischen Krautwuchs mehr. Wir wollen jetzt alles kanalisieren und kontrollieren.

Es ist an dieser Stelle hinzuzufügen, dass Google hier nicht eine Strategie fährt, die besonders neu ist. Dort, wo Google sich hinbewegt, sind schon alle. Da ist Facebook, da ist Yahoo!, da sind Microsoft und Apple. Es geht um die Kontrolle der Plattform, vertikale Integration, Eingrenzung und Ausbau des Ökosystems. Schließt die Tore!

Die Frage ist also eher: warum konnte Google so lange anders sein?

Antwort: Weil Google ein vollkommen queryologisches Geschäftsmodell hat (hatte?).

Google konnte nicht nur der anarchistischen und unkontrollierten Verbreitung des Internets gelassen zuschauen, sondern es war in seinem Interesse, diese Entwicklung auch unterstützen. Googles Geschäftsmodell war, die beste Query anzubieten, um sich in diesem Dschungel zurechtzufinden. Je größer, reichhaltiger und chaotischer der Dschungel war, desto wertvoller war Googles Dienstleistung, ihn für die Nutzer zu durchforsten.

Im Gegensatz zu Facebook, die die Leute auf ihre Plattform locken, um ihre Daten dann dort einzusperren, war für Google das ganze Web die Plattform. Facebook reduziert die Komplexität des Webs auf seine vereinfachenden Strukturen. Google reduzierte die Komplexität des Webs nicht, sondern perfektionierte nur die Query auf das Chaos. Das ganze Web war die Plattform und Google war das Tool – die Maske, die wie ein Layer darüber lag – die es erst nutzbar machte. Google war das GUI des Webs. (Wir reden oft über die “Macht des Links”. Aber was ist ein Link, wenn kein Algorithmus da ist, der ihn auswertet?)

Ich bin mir nicht ganz sicher, was Google dazu bewegt hat, diese Haltung aufzugeben. Sicher spielt der enorme Erfolg von Facebook eine Rolle. Facebook ist nicht sinnvoll indizierbar, weil die Daten von außen nicht zugänglich sind. Wenn sich aber ein Großteil der Kommunikationen hinter verschlossenen Türen abspielen, greift das Googles Geschäftsmodell an. Und die Funktionalität ihres Services.

Ich kann das nicht wirklich einschätzen, aber ich würde davon ausgehen, dass diese Gefahr durchaus handhabbar ist. Wer an das freie Web glaubt, gibt es nicht so schnell auf. Google hat es aber anscheinend getan. Wie ich finde, ohne Not.

Ich persönlich glaube weiterhin an das freie Web, trotz Facebook und jetzt Google+ (und obwohl auch Twitter immer weiter in die Richtung der Geschlossenheit marschiert). Auch wenn man nun davon ausgehen muss, dass man Google als Mitstreiter verloren hat. Aber es werden neue Anbieter kommen, ein neues Google, das mit einer neuen queryologischen Idee die ganze Reichhaltigkeit des Netzes zugänglich macht, ohne sie zu reduzieren.

PS: Was kann man tun? Antwort: Wer limited shared unterstützt Datensilos! Macht alles public, öffnet den Stream, vervielfältigt und spiegelt ihn! Privacy-Einstellungen sind der Feind des freien Webs!

Michael Seemann ist Kulturwissenschafter und Blogger. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie das Internet unsere Gesellschaft verändert. Seine Kernthese: Es ist keine Kontrolle mehr darüber möglich, welche Daten über uns wem zugänglich werden. Er glaubt aber trotzdem nicht an den Untergang der Zivilisation, sondern spürt den emanzipativen Potentialen eines solchen Kontrollverlustes nach. Michael Seemann trägt seine Gedanken dazu im Blog CTRL-verlust zusammen, aus dem dieser Text stammt.

3 Gedanken zu „Googles ehemaliges Geschäftsmodell“

  1. Guter Artikel. Ja, Google hat Angst vor Facebook und gibt deswegen seine Geschäftsphilosophie auf.

    Ob Absicht oder Zufall, das Panda-Update von Google straft Blogs mit breiter Thematik ab und macht damit die Content-Generierung in eigenen Blogs uninteressanter und fördert so die eigene Plattform Google+.

  2. Ich denke der Hauptgrund weshalb Google diesen Weg einschlägt ist, das die anderen die du nennst so handeln und Google nicht rein lassen. Google wil das Ganze Netz durchforsten und darüber seine Nutzerdatengrundlage zur Werbevermarktung zu schaffen. Wenn nun überall andere Gated Communities sehr erfolgreich sind, vor allem Apple und Facebook, sagt sich Google: Gut, wenn ich nicht reinschauen darf, mach ich es eben selbst genauso.

    Nötig wäre es nicht, Google könnte auch aufdem eigenen, anderen Weg weiterhin erfolgreichsein. Aber wie das so ist, jeder möchte gern das größte Stück vom Kuchen. Ob die Alternative jetzt wirklich vollständige Öffentlichkeit ist? Es ist gut alles offen zu machen und auf verschiedenen Plattformen zu spiegeln, doch das hat eher andere Gründe. Wer ein freies und offenes Netz will sollte vielmehr darüber nachdenken welche Dienste bevorzugt genutzt werden, da deren “Philosophie” mit den eigenen Zielen vereinbar sind. Und dazu gehören dann eben nicht Faceook, nicht Apple, nicht Microsoft und Google eben nur bedingt und in Zukunft wahrscheinlich weniger als bisher. Bequemichkeit und tolle Features sollten dann halt nicht das erste und oberste Kriterium sein. Man könnte Diaspora, auch wenn es noch nicht perfekt ist, bewusst nutzen und dadurch fördern. Es können auch gemeinschaftlich eigene Server und Pods aufgebaut werden um so Weiterentwicklung des Netzes selbst in die Hand zu nehmen. Das wäre bei ausreichender Beteiligung mit geringen Kosten für die Einzelnen möglich. Diaspora ist aber nur ein Beispiel. Es gibt immer wieder Alternativen die eine freie Entwicklung des Netzes fördern würden, da die Masse der Nutzer, und leider auch die sogenannten Meinungsführer und Multiplikatoren des Netzes, aber vor allem auf Bequemlichkeit achtet, ändert sich wenig.

    Nutzt Linux statt Apple, offene Dienste statt Closed Shops, so wäre am meisten für eine Eintwicklung hin zu einem freien, (basis-)demokratischen Internet getan!

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