Landwirtschaftsministerin Aigner, die aus irgendwelchen Gründen auch für das Internet zuständig ist, schwärmt ja schon länger vom digitalen Radiergummi. Klingt ja irgendwie auch gut, das Internet ein wenig vergessen zu lassen. Nun haben Forscher vorgestellt, wie so etwas aussehen könnte.
Es handelt sich um ein Firefox-Plugin, das Bilddaten verschlüsselt. Um sie betrachten zu können, muss der Anwender ebenfalls eine Version dieses Plugins besitzen, womit das Bild wieder entschlüsselt wird – es sei denn, das Verfallsdatum ist erreicht. Jeder Laie bemerkt auf den ersten Blick, wie witzlos die Idee ist und ich tue mich gerade schwer damit zu begreifen, dass hierfür überhaupt Forschungsgelder bereit gestellt worden sind.
Zunächst mal: Zum Betrachten der Bilder benötigen alle genanntes X-Pire-Plugin. Alleine die Vorstellung, dass sich dieses weit genug verbreitet, um flächendeckend genutzt werden zu können, ist absurd. Dabei soll die Technik eigentlich für den klassischen Fall helfen: Ein Partybild bei Facebook soll nicht ein Jahr später vom Personaler einer Firma, wo man sich bewirbt, entdeckt werden – das kann ich auf relativ einfache Weise jetzt schon erreichen, indem ich von Zeit zu Zeit Facebook, Twitpic oder Flickr durchgehe und entsprechende Motive lösche.
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Das kann ich natürlich nicht mit Bildern machen, die andere ins Netz gestellt haben und mich zeigen. Die werden aber wohl so oder so in den seltensten Fällen mit Verfallsdatum versehen werden – und schon gar nicht, wenn sie in böser Absicht ins Netz gelangen wie ein Rache-Upload bei Youporn oder ähnliches.
Hier stellt sich schon die nächste Frage: wo bleibt das Radiergummi für Videos? Für Texte? Und wie will man damit umgehen, dass sich all das via Screenshot und Copy&Paste problemlos kopieren lässt?
Hier zu argumentieren, man müsse am System Internet selbst ansetzen, ist auch falsch: Das Internet ist für den Transport von Daten zuständig. Theoretisch könnten standardmäßig Datenpakete oberhalb ihres Verfallsdatums gefiltert werden – praktisch ist das nichts anderes als die Einführung einer Zensur-Infrastruktur.
Der einzige Ort für ein Verfallsdatum kann der Server sein. Facebook könnte ein Feature anbieten, wonach alle meine Äußerungen dort nach einem bestimmten Zeitraum wieder verschwinden. Ich könnte selbst Ausnahmen bestimmen. Twitter funktioniert heute schon so ähnlich und “vergisst” Tweets nach drei Monaten, wobei allerdings beliebig alte Tweets noch erreicht werden können, wenn die URL bekannt ist.
Ein solches Verfallsdatum wäre ein nettes Entgegenkommen an diejenigen, die sich so etwas wünschen. 99% der Datenschutz-Probleme, die sich durch das Internet ergeben, werden sich damit allerdings kaum beheben lassen. Bei der Aufregung um Spiegel-Titel, die Facebook und Google als Datenkraken darstellen wird auch immer wieder vergessen, dass die eigentlichen Datenschutzprobleme darin bestehen, was der Staat oder Adresshändler mit Daten anstellen, die ohne unser Wissen zusammengetragen wurden. Ich kann das Gegenteil zwar nicht beweisen, behaupte aber mal, dass noch kein Party-Foto bisher einen iranischen Dissidenten hinter Gitter gebracht hat.
Update: Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch ein Artikel von Michael Seemann. Er legt dar, dass das Vergessen etwas ist, was der Empfänger einer Information tut, worauf der Sender aber keinen Einfluss nehmen kann, und dass ein Internet-Radiergummi so etwas wie digitale Zwangs-Demenz bedeuten würde.
[Bild (CC) Flickr/Cookieeater2009]
Einzig sinnvoll in dieser Richtung wäre, wenn Facebook und andere Plattformen ein solches Lösch-Feature als Option selbst in ihr System integrieren würden. In einem solchen weitgehend geschlossenen System wie Facebook könnte das funktionieren.
Das wäre ein kleiner Service am User und ein Signal des Entgegenkommens.
Allerdings kann man seine eigenen Fotoalben, Texte und Videos als Nutzer einer Plattform meistens bei Bedarf recht einfach selbst löschen. Womit das angesprochene Feature dort gar nicht gebraucht wird.
Abgesehen davon: Bei Facebook und anderen Sozialen Netzwerken kann man doch bestimmen, wer die selbst online gestellten Fotos sehen soll und wer nicht. Party-Fotos macht man – so man sie denn überhaupt dort veröffentlichen “muss” – dann eben nur echten Freunden verfügbar. An diesem Punkt gibt es also überhaupt gar kein Problem!