Briefgeheimnis? – Nicht für die “Unterschicht”
28. Juni 2010 - Enno Park

Das Brief- und Fernmeldegeheimnis ist ein hohes gut. Es stellt sicher, dass nur Sender und Empfänger einer Nachricht deren Inhalt lesen können und ist ein essenzieller Baustein unserer Demokratie, der sich direkt aus dem Grundgesetz ableitet. Allerdings in Zukunft wohl nicht mehr, was Post von Hartz-IV-Empfängern an die Arbeitsagentur betrifft.
Überwachung ist ein Problem, weil wir – wenn wir uns überwacht fühlen – unser Verhalten ändern. Eine Einschränkung unserer persönlichen Freiheit. Aus diesem Grund und um so etwas wie Vertraulichkeit aufrecht zu erhalten, gibt es das Brief- und später auch Telekommunikationsgeheimnis. Vereinfacht gesagt: Niemand darf meine Post öffnen. Selbst mein Chef darf die E-Mail, die ich unter meiner persönlichen E-Mail-Adresse schreibe, nicht lesen. Zwar gibt es Einschränkungen, wonach in bestimmten Fällen Überwachung möglich ist, doch das unterliegt einem Richtervorbehalt. Schon in analogen Zeiten durfte ein Polizist einen geschlossenen Brief nicht öffnen, sondern nur ein Richter höchstselbst.
Das alles muss man im Hinterkopf behalten, wenn die Arbeitsagenturen eine neue Vorgehensweise ausprobieren. Zunächst als Pilotprojekt in Sachsen und Thürigen haben die Agenturen neue Postleitzahlen erhalten. Jeder an sie gerichtete Brief wird von der Post geöffnet, eingescannt und in digitaler Form an die betreffenden Agenturen und Familienkassen weitergeleitet.
In umgekehrter Richtung gibt es den Service schon länger: Ich kann der Post eine Mail schicken, die ausgedruckt und zugestellt wird. Wichtig dabei ist, dass ich mich freiwillig dafür entscheide. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Gerade bei der Korrespondenz mit der Arbeitsagentur kann es schnell um persönliche Probleme, Erkrankungen (gar noch psychische) oder sonstige Inhalte gehen, die nicht nur privat sondern intim sind. Sie gehen nur mich und den Empfänger etwas an.
Ist der Pilotversuch erfolgreich, werden bundesweit Briefwechsel von 22 Mio Menschen sowie 13 Millionen Kindergeldempfängern digitalisiert und gespeichert – und das nicht einmal von den Behörden selbst. Die Briefe werden in Scan-Zentren verarbeitet und die Post-Angestellten zur Geheimhaltung verpflichtet. Sozialverbände sind schon dabei, entsprechende Klagen vorzubereiten.
[via elo-forum.net; Bild: Flickr/_moe (CC) ]
Es ist doch so, dass die Behörde das Digitalisieren der Briefe auslagert und die Post als Dienstleister dafür einsetzt?
Ist das nicht das gleiche, wie wenn ein externer Dienstleister oder x Praktikanten innerhalb der Behörde die Briefe öffnen auf den Scanner legen und die Behörde mit den Dateien weiter arbeitet?
Vielleicht bin ich da aber ein bisschen zu naiv…
Ja, empfinde ich als naiv. Irgendwelche angestellten Briefträger sollen die Briefe *zustellen* und nicht öffnen.
Also ich sehe da auch nicht wirklich ein Problem: Anstatt Briefe in der Poststelle zu öffnen und in der Behörde per Hauspost weiterzuverteilen, werden sie hier von einem externen Dienstleister (der aber dieselben Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben haben dürfte, wie die Mitarbeiter) geöffnet, eingescannt und elektronisch weitergeleitet. Für wirklich vertrauliche Post und direkt an Personen adressierte Briefe sollte es aber tatsächlich eine Ausnahme geben.
Abgesehen vom Briefgeheimnis gar keine schlechte Idee. Meiner Erfahrung nach gehen Briefe bei der ARGE gerne mal “verloren”. Eine weit verbreitete Empfehlung ist, Post wie zum Beispiel Krankmeldungen mit einer weiteren Person dort abzugeben, um später Zeugen zu haben. Und ja, die Empfehlung ist leider nötig. Denn da wird ganz, ganz schnell mal das Geld um 30% für drei Monate gekürzt – weil man ja unentschuldigt irgendwo fern geblieben ist (weil Krankmeldung bei der ARGE “verloren” gegangen). Vielleicht ist durch die Post dann wenigstens dokumentiert, dass die ARGE die Post bekommen hat.
Ansonsten ist man ja schon gewohnt, dass Hartz 4 Empfänger als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Und leider mit großer Zustimmung unter der arbeitenden Bevölkerung.
Um ehrlich zu sein halte ich es wie Daniel aus dem ersten Beitrag.
Diese Dienstleistung wird schon seit Jahren erfolgreich von großen Versicherungskonzernen, Banken, Autoindustrie, Verlagen und anderen eingesetzt, die diese Arbeit vorher in eigener Regie inhouse getätigt haben. Darüber regt sich auch niemand auf.
Die Briefe werden in bombensicheren Räumen von Robotern geöffnet, gescannt, signiert und als Datensatz weitergeleitet.
Die Originale (sofern es sich nicht um Urkunden etc. handelt die im Original weitergeleitet werden) werden für einen Zeitraum von 6 Wochen maschinell archiviert und automatisch der Vernichtung zugeführt.
Wo ist da das Problem? Die Briefe werden nicht von Hand geöffnet oder einzeln gelesen! Das wäre viel zu teuer und zu gefährlich für das Personal.
Natürlich werde ich hier keine Namen nennen, aber es würde sicher für Aufsehen sorgen, wenn die Allgemeinheit wüsste, wer diesen Dienst nutzt. Auch wenn es albern ist, weil niemand die Briefe liest.
@Freddy Ich habe gelesen, dass die Briefe manuell von Postangestellten eingescannt werden, die in Scancentern sitzen und Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben müssen.
Ein Problem sehe ich prinzipiell im Outsourcing solcher Sachen. Nennt mich altmodisch, aber ein Brief hat vom Emfpänger bzw. dessen Poststelle geöffnet zu werden und von niemandem sonst.
@Pamka:
> Ansonsten ist man ja schon gewohnt, dass Hartz 4
> Empfänger als Bürger zweiter Klasse behandelt
> werden. Und leider mit großer Zustimmung unter
> der arbeitenden Bevölkerung.
Ich hoffe mal damit war ich nicht gemeint (auch wenn nur indirekt). Der Hintergrund, wessen Briefe hier geöffnet werden, war mir bei meinem Posting egal.