DSDS: “Helden”, die unreife Menschen ins offene Messer laufen lassen
07. Januar 2010 - Jürgen Vielmeier
Bis auf fünf Minuten habe ich auch diesmal nichts von einer ersten Folge irgendeiner DSDS-Staffel gesehen. Das Prinzip ist das gleiche und die Zuschauermassen ergötzen sich, wenn RTL naive Menschen ins offene Messer laufen lässt. Wann hat das eigentlich angefangen, dass sich Geschäftsleute mit der industrialisierten Ausnutzung unreifer Menschen ungeniert eine goldene Nase verdienen und sich dafür auch noch als Helden feiern lassen?
Staatsanwälte und Richter lassen bei 20-Jährigen manchmal Gnade walten. Die Akteure sind zwar laut Gesetz voll geschäftsfähig, aber mit entsprechenden Gutachten wird bei jungen Erwachsenen vor Gericht trotzdem noch häufig das Jugendstrafrecht angewandt. Manche Angeklagte sind eben einfach noch nicht reif für die harte Welt da draußen.
Keine Gnade
Wer bei der RTL-Show “Deutschland sucht den Superstar” vorsingt, kann nicht auf Gnade hoffen – im Gegenteil: Es werden erst recht unreife Menschen ins Trommelfeuer aus Millionenpublikum, Bohlenischen Fäkalsprüchen und nachtretenden Moderatoren geschickt. Anschließende Seelsorge ist nicht im Ablauf vorgesehen.
Das ganze geht nun in die siebte Staffel. Medienjournalist Peer Schader hat heute in einem großartigen Artikel auf Spiegel Online der Opfer gedacht und das Fünkchen Restvernunft beglückwünscht, das der Gatte einer Kandidatin in der Show als einziger noch zu haben schien.
Dem Publikum kann ich es nicht verdenken, daran seinen Spaß zu haben. Schadenfreude ist halt die schönste Freude. Aber oft bekomme ich als Grund für die Faszination DSDS zu hören: Die Leute, die dort ins Messer laufen, seien ja selbst Schuld. Sie wüssten doch von den Gefahren oder müssten zumindest damit rechnen.
Wehe den Opfern
Müssten sie das? Es sind in der Regel junge, unreife Menschen, die sich bei DSDS in den Ring werfen. Menschen, die ihrem naiven Traum vielleicht einmal eine Chance geben wollen oder sogar schon wissen, dass selbst unser hochgelobtes Ausbildungssystem für sie längst keine Jobgarantie mehr darstellt – falls sie überhaupt einen Ausbildungsplatz bekommen.
Ich halte es für vergleichbar mit Jamba und Drängel-Quizshows nachts im Fernsehen (oder ganztags auf 9Live). Jamba verdient Geld damit, Gruppenzwang zu erzeugen und nicht voll geschäftsfähige Jugendliche mit Abos abzuzocken. Das ganze rechtlich abgesichert, versteht sich, damit keiner, der Macht hat, auf die Idee käme sich darüber zu beschweren. Wer auch immer das bei einem Unternehmen wagen würde, das in diesen schwierigen Zeiten noch Arbeitsplätze schafft.
Die einstigen Jamba-Gründer sind heute Risikokapitalgeber für Internet-Startups. Wer heute an Wagniskapital kommen möchte, muss sich immer häufiger in so genannten Elevator Pitches einer Jury präsentieren. Dort geht es weit humaner zu als beim DSDS-Casting, aber wer weiß, ob sich nicht auch sowas eines Tages als RTL-Castingshow geben wird. Und dann wehe den Opfern, egal wie reif sie sein mögen.
[...] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Hassan-Rüdiger F., YuccaTree Post erwähnt. YuccaTree Post sagte: DSDS: "Helden", die unreife Menschen ins offene Messer laufen lassen: http://is.gd/5Rks2 [...]
Es gibt genau zwei Personengruppen, die es in die TV-Ausstrahlung schaffen: Talentierte Sänger und eben die hier beschriebenen “Opfer”. RTL zeigt nicht etwa eine repräsentative Auswahl der Kandidaten, sondern filtert bewusst: Der normale Kandidat, der weder großartig singt, noch sich zum Vollhorst macht, wird gar nicht gezeigt.
Es bleibt die Frage, was ekelerregender ist: Das Verhalten von RTL, oder dass diese Sendung über 5 Millionen Zuschauer erreicht.
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Alles – und ich meine wirklich “Alles” was Arbeitsplätze schafft und zusätzlich noch zur Volksverdummung beiträgt ist gerne gesehen. Panem et circenses wie der alte Lateiner zu sagen pflegte (pflegt) “Brot und Spiele”… Und hab Dank für das ehrliche Wort – die Gedanken sind frei – die Wahl der Krankenkasse auch!