Sind wir mal ehrlich: Die eierlegende Wollmilchsau ist das iPad nicht geworden. Es kann sogar weniger als die Fachwelt erwartet hat und kommt ohne echte Killerfunktion aus, die Apple in den vergangenen Jahren bei neuen Produkten oft in der Hand hatte. Heute, am Tag nach der Präsentation, scheinen die kritischen Stimmen zu überwiegen.
Mein geschätzter Ex-Kollege Marc C. Schmidt erklärt es in seinem neuen Blog sehr treffend:
“Der Special Event bei Apple erinnert mich an Weihnachten als Kind: Mit großen Augen fragt man sich, was sich unter den bunten Verpackungen so verbirgt. Hält man dann die Geschenke in den Händen, gibt es glückliche Kinder, zufriedene Kinder, Kinder mit zu großen Erwartungen und spätestens am nächsten Tag nörgelnde Spielkameraden, die aus den unterschiedlichsten Motiven etwas zu kritisieren haben.”
Kritisieren, das tun die US-Techblogs fast im Gleichklang: “Nein Danke”, betitelt Autor Adam Frucci seine Fehlersuche auf Gizmodo: Das iPad werde ohne Flash auskommen und “große, klaffende Löcher in Websites reißen”. Mashables Barb Dybwad schlägt in die gleiche Kerbe: Kein Widescreen habe das Ding, also sei nicht viel mit dem inzwischen im Web und auch von Apple quasi-standardisierten 16:9-Format. Das trübe auch den von Apple gestern großspurig verkündeten Filmgenuss.
Silicon-Alley-Blogger Dan Frommer hat für das iPad nur ein “lautes Gähnen” übrig:
“Apple-CEO Steve Jobs trabte in San Francisco auf die Bühne hinaus und versprach ein ‘wahrhaft magisches und revolutionäres’ neues Produkt. Das hielt er nicht.”
Ähnliche Stimmen auch von deutschen Bloggern. Carta-Autor Matthias Schwenk hält das iPad für wenig ausgereift und zu früh auf den Markt geworfen. Er fasst zusammen:
“Es hätte der ganz große Wurf werden sollen (…). Statt dessen ist das iPad nur ein hübsches Gadget, das weder dem Internet im Allgemeinen noch dem Mediensektor im Speziellen eine klare Richtung weist.”
Aber ist die Kritik gerechtfertigt? Was ist mit den erhofften Killerfeatures? Kollege Tueksta, der Apples Special Event gestern live vor dem Rechner verfolgt hat, schrieb mir nüchtern via Twitter:
Ich finde: Der Preis und die Datenflat sind die größte Sensation daran, und 10h Akku bei 0,7kg.
Marcel Weiss von Netzwertig kritisiert vor allem, dass Apple mit seiner restriktiven Produktpolitik zunehmend Entwickler, Software- und Contentanbieter gängele. Die Möglichkeit für Endnutzer und Drittanbieter, zu bestimmen wofür ein Gerät verwendet wird (Generativität) würde zunehmend von Apple unterbunden:
Netzneutralität ist wichtig für eine gesunde Weiterentwicklung des Netzes. Genauso wichtig ist aber die Generativität bei Endgeräten. Apple hat darauf gerade den größten Angriff gestartet. Niemanden nützt es, wenn man XY über das Netz theoretisch machen kann, die entsprechenden Programme aber auf den Endgeräten nicht zugelassen sind.
Ob eine Kamera und 16:9-Format unbedingt notwendig sind, sei dahingestellt. Es wäre zumindest aktuell gewesen; alles andere mutet jetzt wie ein Rückschritt an. Selbst der neue iPod nano hat – aus welchem Grund auch immer – inzwischen eine Kamera. Dass Flash und Multitasking im iPad offenbar nicht vorgesehen sind, ist hingegen mehr: ein großes Manko. Das iPad arbeitet mit der angepassten Version 3.2 des iPhone OS, die bis auf den Namen nichts mit dem Betriebssystem von iPhone und Pod touch (aktuelle Version bei beiden: 3.1.2) gemeinsam hat. Wenn schon anders, warum dann nicht auch so zeitgemäß, dass man beim Websurfen oder dem Arbeiten mit iWork gleichzeitig den Twitter-Client öffnen kann?
“Eine Generation schneller als das 3GS”
Es gibt allerdings auch positive Stimmen und die will ich hier keinesfalls verschweigen. Gizmodo-Autor Mark Wilson ist anders als sein Kollege Adam Frucci von dem iPad recht angetan:
“Apple hat dieses Feature kaum verkauft, aber es ist der eine echte Vorteil des iPad: Geschwindigkeit. Es fühlt sich mindestens eine Generation schneller an als das iPhone 3GS.”
Techcrunch-Blogger MG Siegler zieht insgesamt ein verhaltenes Fazit: Der Markt brauche es einfach nicht, aber nachdem er es in den eigenen Händen hielt, war es um ihn geschehen:
“Das Ding ist wunderschön und schnell. Richtig schnell. Wenn Sie mir diese Metapher bitte verzeihen, aber es fühlte sich an, als würde ich die Zukunft in den Händen halten.”
Vielleicht ist es eben das? Nach außen hin trifft es nicht die Erwartungen, aber wer es benutzt könnte begeistert sein? Das sieht auch NewYorkTimes-Blogger David Pogue so: Phase 1 war die Spekulation, was das Ding alles könne. Jetzt hat Phase 2 begonnen: die der kritisierenden Blogger, die es selbst nie ausprobiert haben. Dann schließlich gehe das iPad im April in den Verkauf:
“Und dann, wenn die Geschichte eins gezeigt hat, beginnt Phase 3: Positive Rezensionen, lange Schlangen vor den Geschäften und das seltsame Verschwinden der Blogger, die einst am lautesten gegen das Gerät angeschriehen haben.”
Amen.
Fotos: Apple
Um vielleicht noch ein interessantes Statement von ars.technica zu ergänzen:
Ich sehe das ähnlich: Wenn sich HP, MSI, und wer sonst noch mitmachen will nicht beeilen und schnell konkurrenzfähige Tablets herausbringen, wird auch das iPad ein Verkaufsschlager ohne gleichen werden. Mir persönlich wären offenere Alternativen wie ein Windows OS oder gar ein Android OS jedoch zehnmal lieber, Netzneutralität bringt nichts ohne Store-Neutralität.
Das Teil ist eben nichts für Tech Junkies.
Es wird neue Zielgruppen ansprechen. Leute, denen ein PC zu technisch, ein Netbook zu unpraktisch ist, etc. Die sich nicht mit dem Ärger beschäftigen wollen, den ein PC mit sich bringt.
Und natürlich Leute, die sich ein CouchPad einfach leisten wollen… 8-)
Deswegen verkaufen sich auch die Windows Tablet PCs nicht besonders. Das sind halt doch wieder nur Kisten mit C: und täglichen Updates und Restarts. Aber bald werden die Herrschaften das kapieren – Steve macht es ja wieder vor.
Und Phase 3 wird kommen ;-).
Auch wenn’s schon 1000mal gesagt wurde: Ohne Flash nur das halbe Internet. Kein offenes System. Adapter, die herumbaumeln, kein USB-Anschluss. Dicke schwarze haessliche Raender. (Anscheinend) nur unvollstaendige Sprachunterstuetzung. Aufloesung halbherzig.
Das ist Klicki-Bunti-Scheisse!
Hach ja, nach jeder Apple Keynote dieselbe Leier:
Die Journalisten zerreissen das neue Produkt in der Luft, weil es nicht die Features hat, die sie sich wochenlang in ihren feuchten Träumen zusammengesponnen haben. *gähn*
Wer kann, sollte mal einen Blick in die (übrigens recht aufschlussreichen) Developer-Docs des gestern veröffentlichten SDKs werfen. Anschließend kann man sich immer noch überlegen, ob man meckern sollte oder nicht ;)