30. November 2009 - Jürgen Vielmeier

Sagen wir, ich hatte mich über etwas geärgert und bin in die Stadt gegangen, um meine Laune beim Schuhekaufen wieder aufzubessern. (Ja, auch Männer machen sowas.) Bei Deichmann fand ich ein paar modisch ordentliche Treter für regenreiche Tage, die heruntergesetzt gerade einmal zehn Euro kosten sollten. Die Verkäuferin fragte mich, ob ich für fünf Euro ein Pflegespray dazu nehmen wolle.
Wollte ich nicht. Das hätte den Kaufpreis um satte 50 Prozent erhöht. Billiger wäre es da, die Schuhe nie sauber zu machen und sie nach dem Winter einfach wegzuschmeißen.
Ich bin nicht der einzige, der so denkt: Kurze Zeit später sah ich mich in einem Modehaus nach einem paar Stiefletten für den Winter um. Bei der Anprobe kam ich mit der jungen Verkäuferin ins Gespräch. Nach den 10-Euro-Schuhen dürfte es nun etwas Teureres sein, sagte ich ihr und deutete auf die Deichmann-Tragetasche.
Es war einmal: die Reparaturkultur
Sie war plötzlich Feuer und Flamme: Deichmann habe in der Tat wunderbare Schuhe. Vor allem, wenn man Schuhe nur für einen einzigen Anlass kaufe und sie danach gleich wieder wegwirft.
Das brachte es auf den Punkt. Wo ist sie hin, die Reparaturkultur in Deutschland, die so traditionelle Berufe wie Schuster oder Radio- und Fernsehtechniker (längst ersetzt durch Informationselektroniker) hervor gebracht hat? Welcher Händler, der Computer oder Fernseher der gängigen Marken verkauft, repariert sie noch selbst? Wie konnte es dazu kommen, dass die Straßen meines Viertels nach Sperrmüllaktionen regelmäßig zu Friedhöfen für Röhrenmonitore werden, weil viele Zeitgenossen nicht wissen, dass man sie gesondert entsorgen muss?
Wie konnte sich selbst der Staat darauf einlassen, voll funktionstüchtige Autos zu verschrotten und den Besitzern sogar noch 2.500 Euro dafür zu zahlen, wenn sie mit einem Neukauf die Wirtschaft bis zu Bundestagswahl wieder ankurbeln? Selbst die Caritas nimmt keine gebrauchten elektrischen Geräte mehr an, wenn sie nicht aktuellen technischen Standards entsprechen.
Die Gesellschaft hat sich längst zur Wegwerfgesellschaft gewandelt. Die wichtigste Frage ist: Wie gehen wir damit um? Prinzipien wie Schonen, Hamstern, Aufbewahren, ja: selbst Warten, gelten nicht mehr. Und wenn wir auf dem neuesten technischen Stand bleiben wollen, den Staat (Feinstaubplakette), Arbeitgeber (Software-Kenntnisse) oder Rundfunkanstalten (DVB-T, HD-TV) von uns verlangen, dann haben wir gar keine andere Wahl mehr, als das Spielchen mitzuspielen.
Was kommt danach?
Es ist ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel, der uns von Nagetieren zu Zugvögeln gemacht hat. Aus dem Reparateur von damals ist der Entsorger von heute geworden. Das Leben verlangt von uns damit zwar hohe Investitionen, es hat aber auch Vorteile: Wir können uns mit wesentlichen Dingen befassen, sind in erster Linie jetzt Einkäufer und Verkäufer statt Instandhalter. Den Preis dafür zahlt die Umwelt und dafür zahlen wir nochmal extra: Recycling, Entsorgung, Verbrennung.
Da die Ressourcen der Welt begrenzt sind, viele der deponierten oder verbrannten Inhaltsstoffe aber verloren gehen, ist abzusehen, dass dieser neue Trend nicht anhalten wird. Und falls dann nicht noch ein neuer Trend Einzug hält, wird es in gar nicht all zu ferner Zukunft wohl wieder auf Reparaturen und lange Lebensdauer ankommen. Schmeißen wir unsere alten Fähigkeiten am besten also nicht weg!
[...] YuccaTree habe ich gerade einen Interessanten Artikel über unsere heutige Gesellschaft gelesen. Auch ich [...]
Ich stimme zu 100% zu, habe aber auch keinen Verbesserungsvorschlag, sondern hatte stattdessen neulich ein ähnliches Problem, und das endete mit dem Kauf einer neuen Waschmaschine. Denn dies erwies sich als billiger und nervenschonender als folgendes Prozedere, welches ich Jahre zuvor einmal bei einer Spülmaschine durchexerziert hatte und nicht wiederholen wollte:
Servicetechniker anrufen, kommt. Anfahrt alleine ca. 50 Euro. Schließt irgendeine Messbox an, fummelt am einzigen Wählknopf der Maschine rum. “Kein elektrischer Defekt. Da müssen Sie mal die Maschine umdrehen und die Schläuche durchspülen.” Fährt wieder. Kostete mich insgesamt, weiß nicht mehr genau, ca. 150 Euro.
Dito mit einem uralten, aber sehr praxistauglichen Sony-Beamer: Spezialnetzteil kaputt – zwei Spannungen, nicht genormter Stecker. Eingeschickt. Kommt unrepariert zurück, für 60 Euro, weil: “Das Ersatzteil ist nicht mehr lieferbar (Netzteil).” Aha: Das Ersatzteil ist das komplette Netzteil!
Ja, so was brauche ich insgesamt eher gar nicht, also auch keinen Servicetechniker nach Art der Nullerjahre.
Der Beamer läuft übrigens wieder, mit einem kleinen Labornetzteil und einem separaten Steckernetzteil aus dem Elektronikhandel, und die Spülmaschine tat es auch wieder. Selbst war der Mann in beiden Fällen und macht das auch nicht mehr anders, außer in hoffnungslosen Fällen wie der Waschmaschine.
PS: Die Überhitzung Deines Blog-Lebens verstehe ich nur zu gut, Jürgen – und ich teile auch Deine Meinung, dass es seit Monaten nicht wirklich bahnbrechende Neuerungen im IT-Bereich zu vermelden gibt. Was nicht heißt, dass das ab jetzt immer so bleiben wird. Viele Grüße aus München!
[...] Veröffentlicht wurde der Beitrag im YuccaTree Blog. [...]
Danke – ein schöner Beitrag der zum Nachdenken anregt… Gerade so kurz vorm Konsumfest #1 ;)
Irgendwas ist doch faul dran, wenn die Wirtschaft nur funktioniert, wenn regelmäßig weggeworfen wird? Ich mein – bei Hightech ist es etwas schwierig, wenn die Entwicklung sehr schnell Quantensprünge macht…
Aner ein guter Trend sind vielleicht die neuen mobilen Betriebssysteme, wodurch Geräte auch nach dem Kauf noch erweiterbar bleiben. Mit neuer Software / neuen Apps können auch etwas ältere Geräte noch auf dem Stand der Zeit bleiben…
Klassische Geräte wie Waschmaschine & Co. sollten aber besser schon länger haltbar sein. Vielleicht muss hier die nachhaltige Entwicklung durch längere (gesetzliche (“Zwang”)/ freiwillige (“Branding”))Garantiezeiten und danach längere Ersatzteilverfügbarkeit gefördert werden? Natürlich stufenweise… damit die Hersteller Möglichkeiten haben, Ihr Geschäftsmodell ebenfalls anzupassen…?
Geräte könnten auch modular erneuerbar sein… z.b. wenn eine viel effizienteres Modul entwickelt wird, dieses auch in Bestandssystemen auszutauschen?
Naja… ich bleib Optimist. Solang nur der Einkaufspreis zählt, läuft die Motivation bei der Entwicklung leider genau in die entgegengesetzte Richtung. Käufer werden auch direkt in diese Richtung konditioniert.
Man muss nicht alles mitmachen! Meine Schuhe sind zum Beispiel genäht und werden mehrmals von einem Schuhmachermeister repariert. Solche Schuhe kann man ab 100,- € kaufen. Die kommen dann z.B. aus Rumänien.