US-Blogger Johnny B. Truant sah sich vor einigen Jahren in der Schweiz einer brenzligen Situation ausgesetzt: In einer Kneipe in Interlaken hatte ein betrunkener Einheimischer seine Schwester belästigt. Truant stellte ihn zur Rede und wurde nur weiter provoziert. Doch dann passierte etwas Überraschendes, was Truant lehrte, besonnen auf Kritik zu reagieren – auch im Internet.
Es war das Jahr 1999. Truant besuchte seine Schwester in der Schweiz. Spät abends in einer Kneipe tranken einige Einheimische über den Durst, knippsten das Licht an und aus. Einer davon fasste Truants Schwester an. Truant sagte ihm, er solle gefälligst seine Hände bei sich behalten. Aber der Einheimische reagierte zornig auf den Amerikaner: “Und? Was willst du dagegen machen, Freundchen? Du bist hier weit weg von Zuhause.”
Truant nahm sich einen Moment Zeit, um nachzudenken, was sich als günstig erweisen sollte:
Okay, situation check. We’re foreigners in an unfamiliar land. This guy was local. He clearly resented an American telling him what to do on his turf, and was ready to fight to prove it.
I could have pushed on. But instead, I decided to agree with him.
“Look,” I said. “You’re right. I’m a guest here. I get that. I wouldn’t want some foreigner coming into my home and telling me what to do. But that’s my sister. I have to take care of her.”
Danach passierte das Erstaunliche: Der Schweizer wurde freundlich, sagte dass er auch eine Schwester habe und es respektiere, dass Truant auf seine Schwester aufpassen wolle. Was Truant tat, um den Schweizer zu besänftigen: nicht auf seine Drohung reagieren, sich in die Lage des anderen hineinversetzen, versuchen ihn zu verstehen. Das gelte auch für böse Kommentatoren in Blogs, schreibt Truant und gibt vier Tipps, um die Situation deeskalieren zu lassen:
1. Sich wirklich in die Lage des Anderen versetzen
Wenn sich jemand aufgrund der Wortwahl oder möglicher unbedachter Anschuldigungen verletzt fühlt, tut es nicht weh, sich für die Wortwahl zu entschuldigen. Dabei verliert man sein Gesicht nicht, selbst wenn der andere im Unrecht ist.
2. Ruhig bleiben und professionell reagieren
Wenn Kommentatoren persönlich beleidigend werden, ist der natürliche Wunsch oft, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Besser ist es, die Ruhe zu bewahren. Wer beleidigt, argumentiert oft schlecht. Es gibt also nichts besseres, als ihm ganz ruhig und ohne Trotz die Faktenlage genau zu schildern. Truant hat dabei das Ergebnis erzielt, dass sich ein anfangs keifender Kommentator später für seinen Tonfall entschuldigte. Wer ruhig bleibt, wirkt professionell.
3. Kommentare nicht ignorieren – reagieren und erklären
Manchmal beruhen beleidigende Kommentare auf einem Missverständnis. Der Kommentator geht von falschen Annahmen aus oder kennt die Vorgeschichte nicht. Es wäre für den Blogger ein Leichtes, ihm seine schwache Argumentation um die Ohren zu hauen. Besser ist es, den Kommentator sachlich darauf hinzuweisen, dass sein Kommentar offenbar auf einem Missverständnis beruht.
4. Nur einmal antworten
Kommt Kritik, ist es am besten, sich alle Argumente sorgsam zu überlegen und dann nur ein einziges Mal zu antworten. Ist der Kritiker damit nicht besänftigt und feuert weiter aus allen Rohren, dann sollte man nicht mehr darauf eingehen, rät Truant. Man hat nur einen Schuss. Geht er daneben: Pech gehabt. Schlimmer wäre es, sich mit vollem Magazin auf ein Scharmützel einzulassen, das Zeit und Kraft kostet, und bei dem sogar Unbeteiligte durch Querschläger getroffen werden könnten. Besser: Abhaken und vergessen.
Von Peter Turi vom Medienmagazin turi2.de, für den ich vergangenes Jahr gearbeitet habe, kenne ich noch eine weitere gute Methode, mit der ich Truants vier Punkte gerne ergänzen möchte:
5. Mit Humor reagieren
Bei turi2 kommen oft bissige Kommentare auf einzelne Fehler oder das Webdesign. Schreibt zum Beispiel ein anonymer Kommentator: “Ihr seid wirklich bescheuert! Eure Spaltenbreite ist so hoch, dass ich sie nicht mal mit meinem 17-Zoll-Monitor darstellen kann, ohne seitwärts zu scrollen”, lautete die Antwort darauf sinngemäß: “17 Zoll?! Schmeiß weg und hol dir 24! Kostet doch kaum noch was. Du willst doch Medienmensch von morgen sein und nicht im gestern wohnen!”
Wendet man Humor an, fällt dem Kommentator oft auf, dass er sich im Ton vergriffen hat. Der nächste Kommentar ist dann meist schon deutlich sanfter.
Hier auf YuccaTree Post sind wir bislang zum Glück von Trollen und bösen Kommentatoren weitestgehend verschont geblieben. Mal sehen, wie lange noch. Von anderen Blogs kenne ich diese Problematik aber sehr gut. Welche Erfahrungen habt ihr mit Kommentatoren gemacht, und wie geht ihr mit unverhältnismäßiger Kritik um?
Bild: Oxfam.org via Wheatfields auf Flickr.
Großartiger Beitrag!
Punkt 5 will Humor sein? Zeugt eher von Arroganz gegenüber den eigenen Lesern. Ich selber habe (um auf deine Frage zurück zu kommen) das Glück eifriger Stammkommentatoren. Die kennen die Trolle meist besser als ich und geben ihnen konstruktives Kontra. Ich selber versuche immer freundlich zu bleiben – ist halt meine Art. Wer dann diskutieren will, der soll es tun – meistens reagiere ich auf die Leute nicht mehr, sodass sie ihre Lust verlieren.
Sehr guter Artikel. Danke dafür.
@caschy: 5. ist machmal auch notwendig, aber man muss auch dabei beachten das Humor sehr unterschiedlich ausgelegt wird. Was für den einen Humor, ist für den anderen eventuell ein Angriff.
Über die Jahre bin ich da auch viel lockerer geworden. Viele Kommentare darf man sich auch nicht zu persönlich nehmen. Eine freundliche Antwort ist meistens das beste Rezept.
Für “normale” Kommentatoren, die über die Stränge schlagen, mag das ja alles gut wirken. Aber echte Trolle, die nur um des Provozierens willen kritisieren, bekommt man damit auch nicht gebändigt. Allenfalls mit Punkt 4. Punkt 5 halte ich ebenfalls für sehr kritisch. Humor und insbesondere Ironie und das Internet passen meiner Erfahrung nach nicht zusammen.