03. August 2009 - Jürgen Vielmeier

Es war am späten Dienstagnachmittag. Ein Blick aus dem Fenster ließ die Vorfreude auf einen gemütlichen Biergartenabend ansteigen. Die freshzweinull-Redaktion hing ein wenig in den Seilen, hier und da wurden bereits die ersten Rechner heruntergefahren. Alle Nachrichtenticker für den Tag waren überprüft, alle Meldungen geschrieben. Wir warfen uns Papierkügelchen zu, um die Zeit bis zum Feierabend totzuschlagen. Da stand auf einmal in hünenhafter Gestalt der Chef in der Tür.
Das wunderte uns, denn eigentlich hatten wir gar keinen Chef, ein gemeinsames Redaktionsbüro auch nicht, und selbst das Wetter war für den Hochsommer eher dürftig. Das näherte unsere Hoffnung, dass sich die folgenden Ereignisse gar nicht wirklich zugetragen haben. Doch dafür kam es uns zu real vor. Und es kam knüppeldick.
“Ich sehe, hier geht es langsam auf den Feierabend zu”, sagte der Chef in versöhnlichem Unterton, die Hände väterlich vor der Leiste gefaltet, um im nächsten Moment, wie aus der Posaune gestoßen loszukeifen: “Zurück an die Arbeit, und zwar alle!!! Ich hab mir das lange genug angesehen. Wir brauchen einen neuen Namen für die Redaktion. Und der wird mir bis morgen früh gefunden! Eher geht hier keiner nach Hause!!”
Nichts passt so wirklich, der Chef tobt
Erschrocken fuhr ich zusammen und nahm zitternd den kleinen Zettel in die Hand, der neben meiner Tastatur lag. Dort hatte ich – von Kaffeeflecken geschmückt – erste Vorschläge gesammelt und wieder verworfen.
Netzdreinull -> zu modisch vergänglich
Newszweinull -> zu altmodisch
Webdaily -> zu harmlos
News24 -> ach, komm!
Plötzlich stand der Chef neben meinem Schreibtischstuhl und sah zu mir herunter: “Sie nennen sich Chefredakteur, und das ist alles, was Sie bisher haben? Wenn Sie schon nicht kreativ sein können, haben Sie dann wenigstens mal Ihre Leser gefragt? Aha, ham se, und was kam dabei heraus?”
Ich zog aus einem Stapel Papier einen weiteren Zettel und hielt ihn rüber. Der Chef riss ihn mir aus der Hand: “So so, na ja. Weitermachen!” Ich weiß nicht genau, warum ich mich auf einmal an meine Bundeswehrzeit erinnerte und der Chef einem Ausbilder aus der Grundausbildung so sehr ähnelte. Er war immer dann zur Stelle, wenn etwas schief gelaufen war, um es einem gleich unter die Nase zu reiben.
Als er im hinteren Teil unseres Büros verschwunden war, um einen anderen Kollegen zurechtzustutzen, nahm ich mir den Zettel und notierte weitere Ideen:
Dailymag.de -> zu wenig konkret
Webnews20 -> zu abgegriffen
Webnews30 -> zu bieder
Webworldnews -> zu gewollt
Vielleicht einmal in eine ganz andere Richtung denken? Weg vom 45. Blog, das irgendwas mit Webnews heißt, hin zu einem echten Newstitel, “The Webside Post” oder “Webside Story”. Aber würden uns dann nicht wieder unsere Leser aufs Dach steigen? In dieser Atmosphäre, in der wir gezwungen waren, auf die Schnelle kreativ zu sein, sehnten wir uns nach bewusstseinserweiternden Psychopharmaka, die wir noch nie zuvor ausprobiert hatten: Ecstasy, Morphium, Amphetamine. Wir sahen sehnsüchtig durch das Fenster auf die Straße hinunter. Leider hatte der Supermarkt gegenüber schon geschlossen.
Bleistiftkauend, apathisch vor mich hin glotzend muss ich an meinem Schreibtisch gekauert haben, als plötzlich der Chef hinter mir stand. Er hatte nicht nur das Aussehen meines Unteroffiziers aus der Grundausbildung angenommen, sondern auch seinen Mecklenburgischen Dialekt: “Vielmeier, wenn se bis morjen früh keen Namen uff meen Schreibtisch jelegt haben, denn können se sich nen neuen Job als freiberuflicher Blogger suchen. Dann lern se mal den Ernst des Lebens kennen!”
Das einzig schöne, was von dem Abend noch blieb
Aus allen Tagträumen gerissen, setzte ich mich sofort wieder aufrecht hin, nahm Zettel und Bleistift in die Hand und begann wie ein Verrückter, Namen zu notieren, die mir durch den Kopf schossen. Der Chef nickte zufrieden, ging zum Schreibtisch meines Kollegen und stieß mit einem Ruck seinen Schreibtisch um, wobei er unverständliches Zeug brüllte. Ich wusste nicht genau worum, aber um irgendetwas wichtiges schien sich die Sache hier zu drehen. Meine Vorschläge kamen mir nun immer besser vor.
Netzbrauerei.de, oder doch
Webenthusiasten.de, nein lieber
Webveranda.de, oder nicht doch
5amstart.de?
Da fiel mein Blick auf die Pflanze vor meinem Schreibtisch, das letzte bisschen Schönheit, das diesem Abend noch geblieben war. Trotzig schrieb ich auf meinen Zettel:
YuccaTree.de
Während mein Kollege laut schluchzend die Einzelteile seines am Boden zerschellten Bildschirms zusammensuchte, kam der Chef wieder zu mir und warf einen Blick auf meine neuesten Vorschläge: “Vielmeier, sind Sie von der Grasmilbe gestochen worden? Ein Magazin, das wie eine Yucca-Palme heißt, hat nicht das geringste mit Webnews zu tun! In fünf Minuten habe ich einen vernünftigen Vorschlag auf meinem Schreibtisch, sonst war es das!”
Dann war es das? Ich überlegte kurz: YuccaTree.de, das ist viel zu abstrakt. Das hat rein gar nichts mit Webnews zu tun. Das klingt nach Grow-Shop oder Blumenhandel, dafür würden uns die Leser in ihren Kommentaren zersägen, das ist ein komplett verrückter Name, den niemand wählen würde. Das wäre ja genauso, als würde man einen Computerkonzern nach einem Apfel benennen oder eine TV-Sendeanstalt nach einem Fuchs. Das ist ein Name, der so weit von allem entfernt ist wie dieser verrückte Abend. YuccaTree, das würde meinem Chef und unseren Lesern den Rest geben, und wir stünden mit einem Mal vor einer völlig ungewissen Zukunft.
Perfekt!
Plötzlich schreckte ich hoch. Ich lag auf meinem Bett. Meine Kollegen, der böse Chef, das Großraumbüro waren fort. Neben mir lag wie hünenhaft meine Armbanduhr, die mir gnadenlos die späte Uhrzeit anzeigte. Vor meinem Bett stand wie immer blickfüllend meine Zimmerpflanze. Ich lächelte. YuccaTree – ein schöner Klang für mein neues Webmagazin, und ein Name, der die Leute auf die Palme bringen wird, genauso wie die meisten unserer Meldungen. Zufrieden legte ich mich wieder hin und schlief traumlos bis zum Weckerklingeln durch.
Sehr schön geschrieben! ;-)
Ich bleibe diesem Blumenshop hier als Leser erhalten. ;-)
Grüße von MEINER Palme neben MEINEM Schreibtisch! ;-)
Daniel
Ich bleibe dabei, der Name gefällt mir nicht und ich freshzweinull war mir um Längen lieber. Nichtsdestotrotz, der Name ist nicht alltäglich und man gewöhnt sich daran je öfter man ihn hört. Insofern, warten wir es ab :-)
Nun ja, warum nicht? Geschichten, die uns yuccen, und wenn man mal darunter nachschaut: Gesunde Wurzeln und Spinnen. Sehr sympathisch also! Sowie sehr leicht zu merken, robust und natürlich ganz eindeutig um Größenordnungen besser als die Namen gewisser eher minder als mehr erfolgreicher Mischkonzerne.
Weitermachen! Herzliche Grüße aus München!
Auch mit Geschichte hinter dem Namen gefällt er mir kein Stück besser.
RT: Auch mit Geschichte hinter dem Namen gefällt er mir kein Stück besser.
“Dailymag.de -> zu wenig konkret” — *totlach*
Hallo,
auch ich muss (leider) sagen, dass mir der alte Name viel besser gefallen hat. Aber vieleicht ist es nur gewohnheit. Warum wolltet Ihr überhaupt einen neuen Namen?
gruß,
rouven
Danke für euer zahlreiches Feedback in den letzten Tagen. Ich kann euch verstehen, dass der neue Name euch vielleicht nicht auf Anhieb gefällt. Ich habe ihn aber nicht aus Jux und Dollerei gewählt, sondern weil ich noch etwas damit vorhabe und keine Lust mehr darauf hatte, namentlich an einen vielleicht kurzzeitigen Trend gebunden zu sein. Ich habe einen Namen gewählt, von dem mir klar war, dass er vielen zu Anfang nicht gefallen wird. Aber wer weiß, ob das in einem halben Jahr nicht schon wieder ganz anders aussieht. Seid doch so gut und gebt dem Neuen eine Chance!
Wir hatten nichts gegen den Namen freshzweinull! Aber nachdem Fresh Info als Namensgeber der Seite zum Ende August aus dem Projekt ausgestiegen ist, wollten und mussten wir uns namentlich abgrenzen. Deswegen die Änderung.
Gefällt mir auch überhaupt nicht. Grauenhaft wenn man sich “deutsches” Newsmagazin schimpft und dann nen englischen Namen hat. Zumal das Logo extrem bedürftig ist. Ne – geht gar nicht. Trotz toller Geschichte und allem.
Um mal dem Trend hier entgegenzuwirken: Ich finds klasse. Griffig, interessant, mal was anderes, toll!
@ Jürgen:
AHA!!!
Danke für die Infos in deinem Kommentar :-)
Ich glaube, hättest du das mal eine Woche früher geschrieben, wären die Reaktionen nicht so heftig gewesen…
@Jott: Ich hab das vor einer Woche schon geschrieben. Aber na gut, man kann nicht erwarten, dass jeder alle Beiträge kennt. Denke, die Reaktion wäre trotzdem genauso ausgefallen. Ist immer so, wenn etwas Neues kommt: Den einen gefällt’s, den anderen eben nicht. Wat weelste maache!
@Florian: Wer sagt denn, dass das hier für immer ein rein deutschsprachiges Newsmagazin bleiben soll? ;)
@Nils: Danke für die netten Worte. Klar hört man sich alle Kritik an und nimmt sie auch ernst. Dann darf man sich aber auch über positiven Input freuen. Thanks a lot! :)