Die Web-Gemeinde hat schon lange keinen solchen Coup mehr erlebt: ein neuer Browser! Von Google! Und noch viel mehr: ein völlig neues Konzept, fast ein Betriebssystem, eine Konkurrenz für Microsoft, ein gleichgültiger Firefox-Chef, dazu ein sagenumwobener Comic, Twitter-Meldungen im Sekundentakt und zehntausende Blog-Einträge an einem Tag. Kurzum: Es war eine Menge los. Aber nun der Reihe nach: Was kann Google Chrome, und was kann der Browser nicht, und kann Microsoft wirklich schon einpacken?

Der ominöse Comic – ein Marketing-Geniestreich

Alles begann mit einem Comic, der dem Blogger Philipp Lenssen angeblich durch eine Panne von Google schon etwas zu früh in die Hände gefallen war. Lenssen scannte den Comic ein und stellte ihn am Montag in seinem Blog online. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer über andere Blogs und Twitter. Der inzwischen auch von Google offiziell veröffentlichte, fantastische Comic erhält detaillierte, leicht verständlich beschriebene Infos über das Innenleben eines Google-Browsers: Chrome. Ein Leugnen von Google – falls jemals beabsichtigt – war also zwecklos. Während die Fachwelt davon Wind bekam und sich auf die Fachinfos aus dem besagten Comic verließ, folgte von Google die offizielle Bestätigung: Ab Dienstag solle der Browser zum Download bereit stehen. Twitterer pfiffen es von den Dächern: Start um 21 Uhr. Marketing-Blogger Olaf Kolbrück zeigte sich begeistert von Googles Marketingcoup: “Ein medialer Wirbelsturm, der ohne PR-Tamtam und klassische Werbung gelang und dafür nicht mehr als ein Comic-Buch benötigte.” Die Vorfreude auf den Browser war riesig – und die meisten Erwartungen wurden nicht getrübt.

Das Design: Nette Tabs

Dabei bieten Design und Bedienung nicht viel Neues: Chrome ordnet die Tabs oberhalb der Adressleiste an, na gut. Tabs lassen sich sehr einfach öffnen und wieder schließen, sie lassen sich sogar mit einem einfachen Klick aus dem Fenster herauslösen. Pop-ups werden genau dem Tab zugeordnet, das sie geöffnet hat. Die beliebtesten Seiten zeigt Chrome beim Start in kleinen Fliesen auf einer Seite an. Das Design ist schlicht, Plugins gibt es keine, die Adressleiste schlägt schon bei der Eingabe mögliche Ziele vor. Das ist praktisch, wurde aber schon vor Monaten in den Firefox 3 und den Opera 9.5 eingebaut. Viel Nettes also, aber noch keine Revolution.

Die Browserinnovation unter der Haube

Die steckt dafür im Innenleben: Chrome arbeitet mit einem eigenen Task-Manager. Jeder Tab wird damit ein eigener Prozess. Fällt ein Tab aus, beendet ihn der Task Manager ohne den ganzen Browser herunter zu ziehen. Google nähert sich damit der Annahme an, dass immer mehr Anwendungen wie Textverarbeitung (z.B. Google Docs) und Mailprogramme (Google Mail) inzwischen browser-basiert sind. Ärgerlich, wenn der Browser ausfällt, sollte man auf die Idee kommen, einen wichtigen Text mit Google Docs zu bearbeiten.

Chrome – ein Betriebssystem?

Ein Task-Manager, eine bessere Umgebung für browser-basierte Anwendungen, Tabs, die sich herauslösen lassen und zu eigenen Fenstern werden – der Browser als komplettes Betriebssystem ist da gar nicht mehr so weit entfernt. Zumal mit dem integrierten Google Gears viele Google-Anwendungen offline verfügbar werden. Der Start von Chrome ist damit nicht nur ein Angriff auf den Internet Explorer, sondern auch auf Windows, schreiben verschiedene Technik-Blogger. Dass die Zeit herkömmlicher Betriebssysteme endet, findet auch Google-Gründer Sergey Brin. Schlanke Systeme, die ihre Daten aus der Computerwolke beziehen, werden die Zukunft sein. Google Chrome ist ein weiterer Schritt dorthin.

Ver-chrome-te Android-Handys?

Und das würde Microsoft natürlich noch bei einem ganz anderen Wirtschaftszweig angreifen, zumal Windows Vista in der Gunst der PC-Nutzer nicht so recht ankommen will. Wenigstens Apple kann noch einmal durchatmen: Die erste stabile Version von Chrome soll zwar im Oktober zeitgleich mit Googles Handy-Betriebssystem Android ausgeliefert werden, aber zunächst nicht Teil von Android werden. Damit werden Android-Handys zunächst keine noch größere Bedrohung für das Apple iPhone als ohnehin schon. Chrome könnte aber mittelfristig durchaus Teil von Android werden, kündigt Sergey Brin an.

Eine ernsthafte Konkurrenz für den Internet Explorer?

Die webaffine Welt frohlockt derzeit, dass dem Internet Explorer nun endlich ein ebenbürtiger Gegner gegenüber steht. Google ist ein Unternehmen, dass jeder Deutsche unter 60 kennt, bemerkt Marcel Weiss. Und wegen dieser Bekanntheit könnten Unternehmenschefs dem Browser eher Vertrauen entgegen bringen als ein (aus ihrer Sicht) “kostenlos von irgendeiner Stiftung gebauter Browser (Firefox) oder ein Browser, der von einem obskuren kleinen norwegischen Unternehmen hergestellt wird (Opera)”. Das ist sicher nicht von der Hand zu weisen, erklärt aber nicht, warum Apples “Safari” in der Windows-Variante immer noch bei nur rund sechs Prozent Marktanteil herumdümpelt. Wird es Chrome da besser ergehen? Das könnte durchaus sein, findet Weiss. Zum Beispiel dann, wenn Google einen Download-Button auf seiner Startseite einbaut, denn dort kommt fast jeder Webbesucher täglich vorbei.

Die berechtigte Angst vor dem Monopol

Mozilla-CEO John Lilly hat nach eigener Aussage keine Angst um seinen Firefox-Browser und freut sich auf einen sportlichen Wettkampf mit Chrome, der hoffentlich sogar weitere Innovationen hervor bringen könnte. Bei den Technikautoren ist seit den ersten Meldungen am Montag und Dienstag langsam die Euphorie gewichen. Angst hat sich breitgemacht vor dem Datenstaubsauger Google, der mit einem eigenen Browser jetzt noch besser sicherstellen kann, möglichst alle Informationen seiner Nutzer zu erhalten. Google hat die wichtigste Suchmaschine im Web, ein viel genutztes Mailprogramm, ein Online-Office-Paket, jetzt einen Browser – und bald vielleicht auch ein eigenes Mini-Betriebssystem wie ? Der Schritt dahin ist nicht mehr weit.

Google Chrome ist ein netter Browser mit einem innovativen neuen Konzept. Chrome ist weder die Revolution der immer dominanteren Browser noch die der immer schlankeren Betriebssysteme. Aber: Chrome hat die Entwicklung dorthin beschleunigt. Und irgend etwas sagt uns, dass sich bei Browsern und Betriebssystemen in den nächsten Jahren eine ganze Menge tun wird – dank Google.


 
 
 

Ein Kommentar zu “Google Chrome: Ein Browser und ein Hype”

  1. Facebook wird zum Web-Betriebssystem | freshzweinull +++ - 18. September 2008 um 10:13

    [...] aufrufen. Ob das mal wieder ein weiterer Schritt hin zum Browser-Betriebssystem ist? Wenn Ihr uns fragt, klare Antwort: [...]

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